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Der Küss des schwarzen Falken

Der Küss des schwarzen Falken

Titel: Der Küss des schwarzen Falken
Autoren: Barbara McCauley
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1. KAPITEL
    Die Meinungen über Rand Sloan waren geteilt. Je nachdem, ob man von einer Frau oder einem Mann ein Urteil über ihn einholte, fiel es sehr unterschiedlich aus. Fragte man einen Mann nach ihm, erhielt man mehrheitlich zur Antwort, er sei ein verdammt dickköpfiger und meist schlecht gelaunter Bursche, der sich in der Weltgeschichte herumtriebe und bei dem man nie recht wisse, woran man bei ihm sei. Frauen dagegen beschrieben ihn durchweg als außergewöhnlich, atemberaubend und interessant.
    In einem Punkt allerdings waren sich Männer wie Frauen über Rand Sloan einig. Er galt als der beste Pferdetrainer in ganz Texas.
    Außerdem hatte er mit seinen zweiunddreißig Jahren etwas an sich, das einen glauben ließ, er habe mehr gesehen und erlebt als andere Männer seines Alters. Davon zeugten die charakteristischen Fältchen, die sich von den Winkeln seiner pechschwarzen Augen zu den Schläfen hin ausbreiteten, und sein markant geschnittener Mund unterstrich diesen Eindruck noch. Sein volles Haar glänzte schwarz und reichte ihm bis in den Nacken. Das gleiche Schwarz zeigte sich als Bartschatten auf dem energischen Kinn, wenn er, was mit schöner Regelmäßigkeit vorkam, eine Rasur ausgelassen hatte. In allem, was er tat, ließ er sich Zeit, ein Vorzug, den vor allem Frauen, die ihn näher kannten, zu schätzen wussten. Einen Meter dreiundneunzig groß und durchtrainiert, bewegte er sich mit souveräner Gelassenheit.
    Selbstbeherrschung und Disziplin standen bei Rand Sloan an oberster Stelle. Für jeden, der mit Wildpferden arbeitete, waren diese beiden Eigenschaften lebenswichtig. Sie waren ausschlaggebend dafür, ob man in einer kritischen Situation mit einem lästigen Bluterguss davonkam oder mit einem gebrochenen Bein im Krankenhaus landete. Und manchmal entschieden sie sogar über Leben und Tod, denn ungezähmte Pferde waren launisch und unberechenbar. Manche gebärdeten sich wie wahnsinnig. Rand Sloan verstand es, ihnen mit unendlicher Geduld zuzureden, ihnen Rückzugsmöglichkeiten zu lassen, wenn sie sie brauchten, und sie nicht in ihrem Stolz zu verletzen.
    All das hatte etwas mit ihm selbst zu tun. Er konnte sich in die Tiere hineinversetzen. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte er sich ebenso unbändig gegen Eingriffe in seine Freiheit wehren müssen. Das war im Wesentlichen der Grund, warum er sich zu den Wildpferden hingezogen fühlte und warum er sich gerade diesen Beruf ausgesucht hatte.
    “Nun komm schon, Schätzchen”, sagte er leise, während er Maggie Mae aus ihrer Box führte.
    Die Stute schnupperte an der Brusttasche seines Jeanshemds. Sie wollte wissen, ob er ihr etwas Leckeres zu fressen mitgebracht hatte. Das hatte er. Rand gab ihr den halben runzeligen Apfel und streichelte die weiße Blesse auf ihrer Stirn. Dann band er das Tier neben der Box an einen Pfosten. Das Pferd war klein, aber kräftig, eine hübsche zweijährige Fuchsstute, die wie das übrige lebende und tote Inventar unter den Hammer kommen sollte, wenn Rands Mutter die Ranch nächsten Monat aufgab.
    Ohne auf den heißen, trockenen Wind zu achten, der die Hitze aus der weiten Ebene in die Scheune trieb, setzte Rand seine Arbeit fort. Arbeit war für ihn immer das Beste gewesen, um den Kopf freizubekommen. Und einen klaren Kopf brauchte er jetzt mehr denn je.
    Es kam nicht alle Tage vor, dass man davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass man die letzten dreiundzwanzig Jahre mit einer Lüge gelebt hatte. Sein Bruder und seine Schwester, Seth und die süße kleine Lizzie, lebten noch. Sie waren nicht zusammen mit den Eltern bei dem Autounfall getötet worden, wie man ihm seit seinem neunten Lebensjahr hatte weismachen wollen.
    Staub wirbelte auf, als er die Streu im Stall wechselte. Heute hatte er den Brief von der Anwaltskanzlei Beddingham, Barnes und Stephens aus Wolf River bekommen. Er steckte seit dem Morgen in der Gesäßtasche seiner Jeans. Rand hatte ihn danach zwar nicht mehr hervorgeholt, aber er kannte jedes Wort daraus auswendig, und der eine entscheidende Satz beschäftigte ihn unablässig.
    Seth Ezekiel Blackhawk und Elizabeth Marie Blackhawk, Sohn und Tochter des Jonathan und der Norah Blackhawk aus Wolf River County, Texas, haben den Autounfall, bei dem ihre Eltern ums Leben kamen, überlebt.
    Der Rest bestand aus den üblichen juristischen Floskeln und der Bitte, sich baldmöglichst mit der Kanzlei zur Abwicklung der Formalitäten in Verbindung zu setzen. Aber was kümmerten ihn Formalitäten! Seth und Lizzie
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