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Kaiser des Mars

Kaiser des Mars

Titel: Kaiser des Mars
Autoren: Lin Carter
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1. Ivo Tengren
     
    Am späten Nachmittag sitze ich im samtig-purpurnen Schatten der Arkade, nippe an meinem harzigen Brandy und lausche der murmelnden Litanei der Schuhputzjungen, die sich zwischen den Tischen hindurcharbeiten und deren Stimmen mit dem klagenden Geschrei der dicken Tauben verschmelzen.
    Jenseits der Arkade liegt die Piazza del San Pietro, benommen vom blendenden Tag, ein See reglosen, weißen Lichts. Der billige Brandy beißt meine Zunge. Der Junge bleibt fragend vor meinem Tisch stehen, ich schüttle den Kopf, und er zieht zum nächsten Touristen weiter.
    Die Glocken der alten, häßlichen Kathedrale heben donnernd an, grüßen die Stunde. Sämtliche Tauben fliegen im gleichen Augenblick von den sonnenbeheizten Platten auf, als hätte der Schlag der Glocken sie elektrisiert. Wie eine mächtige, erschreckte Wolke, ein Schneesturm aus schwarzem Konfetti, flattern sie hoch, kreisen als schwarze Punkte über dem Platz, umfliegen die rosafarbenen Stuckspitzen der Kathedrale, wo vier vom Vogelkot weißgetünchte Heilige ausdruckslos über die roten Dächer von Venedig starren.
    Ich leerte den letzten Tropfen des Brandys, stellte den Schwenker mit einem lauten Klicken auf den schmiedeeisernen Tisch und holte mir ein zerdrücktes Päckchen Aromatiques aus der Tasche meines verschwitzten Hemdes. Ich wählte mir eine davon aus und sog daran, bis die Spitze sich entzündete.
    Eine lärmende Gruppe amerikanischer Touristen betrat die kühle, schattige Arkade. Als sie die purpurne Düsternis der Arkade aus dem grellen Licht der sonnenbeschienenen Straße dahinter betraten, fanden sie den Unterschied ungeheuer komisch. Einer von ihnen, ein fetter, fünfzigjähriger Mann mit einer teuren Tiefenkamera, die um seinen geröteten Hals hing, taumelte herum, stieß in einer Pantomime der Blindheit gegen Tische, daß die aufgedonnerten Frauen der Gruppe sich vor Lachen kaum halten konnten. Schließlich ließen sie sich nach lärmendem Scharren mit den eisernen Stühlen nieder und riefen lauthals nach einem Kellner.
    Ich wandte mich um, um den Blick des Kellners aufzufangen, und deutete mit dem Daumen auf meinen leeren Schwenker. Der Mann nickte mir zu … und dann blies mir ein kleiner, kühler Wind in den Nacken.
    Zwei Männer waren hinter den Amerikanern in den Schatten der Arkade getreten. Als ich mich zu dem Kellner umdrehte, konnte ich sie deutlich sehen. Einer war jung, Mitte dreißig, hochgewachsen und kräftig, und sah auf eine etwas finstere slawische Art gut aus. Er trug einen grauen, glänzenden Kyrolan-Anzug. Ich konnte nur einen kurzen Blick auf ihn erhaschen, als ich mich umwandte: kräftiger Nacken, finsteres Gesicht, kurzer, sorgfältig gestutzter, schwarzer Bart und kalte, harte Augen.
    Er sah mich und packte den Arm seines Begleiters. Der andere sah mich an. Er war älter, vielleicht Mitte sechzig, mit einem schmalen, gutgeschnittenen Gesicht, gebräunt, fast ledern, mit einer herrlichen silbernen Mähne.
    Ich tat so, als hätte ich sie nicht bemerkt. Ich glaube auch nicht, daß sie sahen, daß ich sie entdeckt hatte, denn ich drehte mich gleich wieder um und wandte ihnen den Rücken zu. Mein Herz schlug schneller, und kalte Verzweiflung lastete wie Blei auf mir. Nach all der Zeit nahm mich das noch mit.
    Ich saß da und rauchte und starrte ins Leere, und der kleine, kühle Wind wehte immer noch in meinem Nacken … Und doch – was hatte ich nach all den Jahren noch von diesen Schweinen zu befürchten? Sie hatten mir alles angetan, wozu sie in der Lage waren, mir alles abgenommen, was ich besaß. Mein Ziel, mein Volk, meinen Lebensunterhalt, meine Freunde, ja sogar meine Selbstachtung – alles. Nur mein Leben nicht.
    Aber das hätten sie mir damals auch abnehmen können, vor Jahren, als ich in den Fängen der Gerichte und den Klauen der Anwälte hing. Als sie mich in der Mandatsmaschine vom Mars zurückholten, rechnete ich mit der Todesstrafe. Und selbst wenn sie Angst hatten, es vor den Augen der Öffentlichkeit zu tun, so wußte ich ganz genau, daß eines der Mörderteams der Kolonialadministration mich nach der Verhandlung hätte erledigen können, als die Öffentlichkeit sich nicht mehr für mich interessierte. Nein. Ich habe nichts mehr von ihnen zu befürchten.
    Also saß ich da und schwitzte und streckte meine Beine aus und versuchte die Muskeln zu entspannen. Ich drückte den Stummel aus und zündete mir eine weitere Aromatique an. Ich starrte auf die von der Sonne aufgeheizte Piazza del
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