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Kaiser des Mars

Kaiser des Mars

Titel: Kaiser des Mars
Autoren: Lin Carter
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San Pietro, wo die Tauben inzwischen wieder gelandet waren und gurrend über die schimmernden Steinplatten watschelten, ungestört bis zur nächsten Stunde und der nächsten Explosion der Glocken. Sollen sie mich doch sehen, wenn sie wollen, dachte ich. Ich habe nichts getan; es gibt nichts mehr, das sie mir tun könnten …
    Der Ober brachte mir meinen Brandy, nahm ein Bündel Geldscheine entgegen und schlurfte wieder davon. Ich rauchte und nippte an dem scharfen Brandy und sah zu, wie die lilafarbenen Schatten der alten Arkade länger wurden und die dampfenden Platten des Platzes langsam in ihren purpurnen See aufnahmen. Beobachten sie mich immer noch? Ich werde mich nicht umdrehen und hinsehen …
    Ich versuchte wieder in jene schläfrig-bequeme Stimmung zurückzusinken, aber es wollte mir nicht gelingen.
    Aus irgendeinem Grund wanderten meine Gedanken zu dem mächtigen Steinlöwen, dem geflügelten Löwen aus Marmor, den man im siebzehnten Jahrhundert von Piräus, dem Hafen Athens, hierhergebracht hatte; dem geflügelten Löwen von Sankt Markus, der gleichzeitig der Wächter, das Wahrzeichen und der Genius Venedigs ist. Und dann dachte ich an die Reihen von Runen, die in ihn eingegraben sind, die Inschrift, die vor beinahe tausend Jahren Wikinger in den abgewetzten, alten Stein gegraben haben; Wikinger, die von ihren kalten Fjorden in die kristallklaren Buchten Griechenlands gereist waren:
     
    Sie erschlugen ihn inmitten seiner Streitmacht,
    aber im Hafen schnitten die Männer Runen
    im Gedenken an Horsa, einem guten Krieger,
    an der See.
     
    Die Schweden setzten dies auf den Löwen.
     
    Er ging seiner Wege mit gutem Rat.
    Gold gewann er auf seinen Reisen.
     
    Die Krieger schnitten Runen, färbten sie
    im Gedenken an Horsa.
     
    Er gewann Gold auf seinen Reisen.
     
    Ich sinnierte über die alten Runenverse nach und fragte mich, ob das Volk auch meinem Gedenken einen solchen Vers gewidmet hat … Wenn ja, so unterscheidet er sich vielleicht gar nicht so sehr von den Zeilen, die Horsas Kameraden in den Stein schnitten, um seinen Tod zu besingen. Nur daß ich auf meinen Reisen kein Gold gewann. Nur ein Reich, das ich weder verdiente, noch wollte, noch verteidigen konnte. Und Erinnerungen, die wie Eisen schneiden und wie Feuer brennen.
    Hinter mir, in den Tiefen der alten Arkade, klapperte etwas. Die Schatten verlängerten sich. Die Kellner kamen jetzt mit ihren enganliegenden, glänzenden, schwarzen Hosen und ihren dunklen Gesichtern, die fast in der Dämmerung untergingen, so daß nur noch ihre auffallend weißen Jacken zu sehen waren. Sie trugen die zerbrechlich wirkenden Tische und Stühle aus Schmiedeeisen unter der Arkade hervor, auf den warmen Platz. Für mich war die Zeit gekommen, mein Glas zu leeren und zu gehen, zurück in meine enge, staubige, kleine Wohnung im zweiten Stock der kleinen Pension an dem Seitenkanal, wo ich jetzt schon seit fast einem Jahr lebte.
    Bald würde sich der Platz vor der Kathedrale mit dem Herannahen des Abends in ein Freiluftcafé verwandeln. Reihen von Glühbirnen in verblaßten Lampions aus buntem Papier. Farbige Lichter. Der alte Brunnen würde plätschern, und seine schimmernden Wasserstrahlen würden die glatten, grünen Schenkel der Bronzenymphe und den Bart des knienden Satyrs bespritzen, die jetzt schon seit mehr als zwei Jahrhunderten nebeneinander vor dem rosafarbenen Heim der mit Vogelkot getünchten Heiligen standen – eine seltsame Kombination, diese Gegenüberstellung von verblichenem Heidentum und steifem Katholizismus. Der Hauch einer kühlen Brise vom Wasser her würde die Papierlaternen tanzen lassen. Und dann, wenn der Abend kam, würde ich wieder hier sein. Würde der Menge zusehen und schlechten Chianti zu meinem billigen Mahl trinken, die jungen Liebespaare beobachten, wie sie an den kleinen Tischen saßen und sich einander zuneigten, die Hände auf dem weißen Tuch ineinander verschränkt, zwischen ihnen Kerzen, die hinter Glas tropften und ihre jungen, eindringlichen Gesichter in weichen, romantischen Schein tauchten … und ich würde an Yakla denken, mit den silbernen Perlen in der Seide ihres Haares, so wie damals, als ich sie das erste Mal in den Hintergassen von Syrtis sah, die Augen wie feuchte, schwarze Juwelen, das reine Oval ihres Gesichts in dem pulsierenden Schein der Landedüsen einer Satellitenshuttle von der Deimos-Station getaucht … Yakla, Yakla! Sanft wie ein Kätzchen und wild wie eine Tigerin, warm im Schatten meiner Arme, wie sie
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