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Auf dem Maniototo - Roman

Auf dem Maniototo - Roman

Titel: Auf dem Maniototo - Roman
Autoren: C.H.Beck
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von der fast siebzigjährigen Frau), die ich zu anderen Fotos gelegt zu haben glaubte; und überall die Nachbildungen – der Marmortisch, die Skulpturen, die Gemälde und die Drucke von Gemälden und die Drucke von Drucken von Gemälden; und, noch immer auf dem Arbeitstisch neben dem Schreibtisch aufgestellt, die Modellstadt, die beim Gedenkgottesdienst in der Aufbahrungshalle des Carmel-Seniorenheims den Mittelpunkt gebildet hatte. Bei näherer Betrachtung sah ich, dass Irving schon mit der Neuplanung Blenheims begonnen hatte, und eine Mappe mit maschinengeschriebenen Blättern in der Schreibtischlade bestätigte das. Er hatte die Straßennamen aufgelistet. Da waren sie, all die Schlachten und Generäle – meine Bannockburn Road, Heavenfield Mall, Malplaquet Place, Hohenlinden Road («In Hohenlinden, als die Sonne sank»), Montgomery Square, Maldon Street («da erhob sich Schlachtenlärm, Raben zogen ihre Kreise, der Adler war gierig nach Aas; die Erde widerhallte von Rufen …»); Ashdown Street; aber alles war verändert worden, um in Irvings Traum zu passen, und nur die Schlachtennamen blieben übrig: Parkanlagen, Gärten, Schulen, Gemeindezentren; Kirchen, Konzertsäle, Bibliotheken; lichterfüllte Häuser; nichts Geringeres als eine himmlische Stadt, in der nichts mehr an die Menschen erinnerte als die Straßennamen und eine kleine, dem toten Dichter gewidmete Tafel neben der Kreuzung.
    Und in der Schreibtischlade fand ich eine Pappschachtel mit winzigen Modellmenschen – gekaufte, schöne Menschen; Familien, die sich vor Haustüren präsentieren konnten, Modellbeamte, eine Modellpfarrgemeinde, Modellpassanten,die sich in den Modellstraßen drängen oder auf den Modellbänken in den Modellparks unter einer Modellsonne sitzen sollten. Soweit ich sehen konnte, gab es jedoch keine Modelldichter.
    Und die Wandtafel mit der
Geschichte der Welt und ihrer Völker
hing noch immer an der Wand. Waren es die Carltons oder die Prestwicks, die sie haben wollten? Ich hatte das Gefühl, dass es Doris mit ihrem Interesse für Landkarten und Geografie war, die Anspruch darauf erhoben hatte. Mir fiel auch auf, dass Theo das Buch über Erosion nicht mitgenommen hatte, das er angeblich zurate ziehen wollte, aber vielleicht spielte das keine Rolle, da sie ja bald wiederkommen würden. Aber Doris hatte keines der Kochbücher genommen, die sie angeblich haben wollte.
    Ich beschloss aufzuräumen. Ich warf die alten Süßigkeiten und die schimmligen Marmeladen in den Mülleimer, ich staubte die Möbel und die Bücherregale (ohne Yeats) und die Wände ab, ja ich staubte sogar die Modellstadt ab, die Nachbildung von Blenheim, wobei ich aus einer Laune heraus innehielt, um ein paar Fleckchen aus der Bannockburn Road zu entfernen; und langsam begann das Haus etwas weniger trostlos auszusehen. Ich stellte frische Blumen ins Schlafzimmer und räumte das Arbeitszimmer im Untergeschoss auf, wo ich, umgeben von Wellen weggeworfenen Papiers, gearbeitet hatte, in einer gleich hoch bleibenden Flut, die ich während meiner Arbeit nicht zu stören wagte, denn all die Meeresvögel, die am einsamen inneren Himmel kreisen und schreien, hatten sich dort niedergelassen. Und als das Haus in Ordnung gebracht war, packte ich meine Schreibmaschine ein und den vernachlässigten Roman über die Familie Brunnenkresse und einige andere Dinge (darunter auch die goldeneDecke). Ich rief Brian in Baltimore an, um ihm mitzuteilen, dass ich am folgenden Tag kommen und vielleicht ein paar Tage bleiben würde, bevor ich wieder nach Neuseeland zurückkehrte. Er war immer noch nicht zu Hause. Ich hörte, wie das Telefon im Haus widerhallte. Er musste seinen Aufenthalt in Europa verlängert haben – oder war er nach Brasilien gefahren? Ich freute mich schon auf meine Rückkehr nach Baltimore, darauf, Brian über die «Ereignisse in Berkeley» zu erzählen. Er, der ein so geordnetes Leben führte, mit seinen fixen Arbeitsstunden und seinem genau festgelegten Tagesablauf, würde staunen, dachte ich, wenn er all meine Neuigkeiten zu hören bekam: der Tod der Garretts, die Erbschaft, die Gäste – wo doch erst vor wenigen Wochen mein Leben (und das Reservoir der Vielfalt) mit Brother Coleman, Mrs Tyndall, dem feuchten unglücklichen Jungen aus Neuseeland und dem Familienerbe ausgefüllt gewesen war, das sein Besuch aus Brians Herzen, wo es in Sicherheitsverwahrung lag, ans Tageslicht brachte; und mit den Kindern der Straße und dem toten Dichter der Stadt. Als ich an
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