Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf dem Maniototo - Roman

Auf dem Maniototo - Roman

Titel: Auf dem Maniototo - Roman
Autoren: C.H.Beck
Vom Netzwerk:
1
    Es gibt einen Satz, der mich immer fasziniert hat, wenn ich ihn zufällig an Bushaltestellen, in Geschäften oder auf der Straße hörte: «Wissen Sie, ich habe zwei Männer begraben.»
    Habe ich das tatsächlich auch?
    Möglich ist es, denn die Kinder sind erwachsen und in alle Himmelsrichtungen verstreut wie Schnepfen, die den Zugvogelinstinkt aufgegeben haben für einen dauerhafteren Futterplatz. Und die Ehemänner? Ich habe sie in Erinnerung: Lewis Barwell, gestorben mit zweiundvierzig; die Kinder, Noel und Edith. Lance Halleton, der Französischlehrer an der örtlichen Mädchenschule, der zwar nie in Frankreich gewesen war, doch durch den täglichen Konsum und die Verbreitung der französischen Sprache am Leben erhalten wurde. Lance Halleton, gestorben mit fünfzig.
    Und ich, ich bin heute imstande, Wartesäle zu betreten, an Bushaltestellen und auf Bahnhöfen zu stehen und frei heraus zu sagen: «Wissen Sie, dass ich zwei Männer begraben habe?»; und während ich auf das «Ach, was Sie nicht sagen!» warte oder auf «Nein, so etwas!», verstumme ich wieder, nachdem ich mich der verlockenden Kürzel zum Zurückholen und Festhalten der Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten des Daseins bedient habe. Lewis Barwell, Rohrleger. Lance Halleton, Französischlehrer und später Schuldeneintreiber. Und ich, Mavis Furness, Mavis Barwell, Mavis Halleton, in einer Welt, einst bevölkert von Frauen namens Madge und Mavis und Peggy, vielleicht die vorletzte Mavis, bleibe doch – wie in allen guten Geschichten mit den befriedigenden Worten«bis auf den heutigen Tag» – einfach nur Alice Thumb oder Ariella, Lokinia oder Mauis Schwester oder bloß Naomi, Susan, Ngaere, Belinda. Oder Violet Pansy Proudlock, Bauchrednerin.
    Alice Thumb.
    Ohne Zeitverzug Reisende, wie die Toten, unter den Toten und den Lebenden; eine heimliche Lauscherin, ein Nichts, ein Schatten, eine Nachbildung des Vorgestellten, zweifach der Wirklichkeit entrückt.
    Alice Thumb.
    Violet Pansy Proudlock?

2
    Guten Morgen. Ich bin hier, um Sie zu unterhalten. Ich werde Sie zum Lachen und zum Weinen bringen. Ich bin Violet Pansy Proudlock, Spezialistin im Bauchreden auf kurze, mittlere und weite Distanz; dazu verwende ich meinen Sprechstock und meinen Puppenkopf mit allem verfügbaren Zubehör – Oberlippenbeweglichkeit zum Lächeln, Nickkopf, drehbare Augen, schließbare Augenlider, bewegliche Ohren, Spritzdrüsen in den Augen zum Weinen und eine Effektperücke, der die Haare zu Berge stehen.
    Sie werden es vielleicht seltsam finden, dass ich mich für das Bauchreden entschieden habe, für den schmalen Grat zwischen schöpferischem Akt und bloßer Unterhaltung, wo ich doch ins Innerste vorstoßen könnte; aber ich ziehe es vor, hier zu sein, als Entertainerin. Mein Repertoire beschränkt sich auf die bewährten alten Witze und alle neuen, die mir einfallen, doch meine wahre Kunst besteht in dem Wagnis, in das Sprechen der anderen einzudringen, selbst wenn es nur das Sprechen eines Sprechstocks oder eines Puppenkopfes ist. Da mein Ehrgeiz weiter reicht, hoffe ich, vom Stock über den Puppenkopf zum Menschen fortzuschreiten, zum wirklichen Menschen, nicht zum Stockmenschen oder Puppenmenschen. Ich habe eine Aufgabe zu erfüllen. Ich kenne die Schätze der Kommunikation, die daliegen, untermauert durch den Mythos, und ich spüre diese Schätze auf und mache Gebrauch davon. Ich habe mich dem Bauchreden «zugewendet». Ich bin auch Alice Thumb. Ich habe mich dem heimlichen Lauschen und dem Klatsch «zugewendet». Manche wenden sichnicht um und lassen sich den Vorteil entgehen, zu sein wie Lots Frau. Andererseits: Gerade weil es verboten ist, tun es viele, viele wenden sich um, und alle Tränen eines Lebens erstarren, geben den Winden und der Sonne eine neue Richtung, schwach empfänglich für die Brandung des Meeres, der Körper funkelnd und stark und zur Ruhe gekommen in seiner eigenen Kraft und Schönheit, in seiner Zusammensetzung aus Gelächter und Tränen, die man einst für eine nutzlose Erosion des Standortes – des «Geistes» – hielt.
    Ich werde Gebilde aus Salz beschreiben und Lots Frau und Lot trösten, indem ich sie daran erinnere, dass es keine Katastrophe ist, in Salz erstarrt zu sein, gleichgültig ob man sich zurück oder nach vorn wendet, auf etwas zu oder von etwas weg, nach innen oder nach außen; ein starres Salzwesen zu haben ist keine Katastrophe; es ist die essenzielle Folge daraus, dass man sich umgedreht hat oder gegenwärtig
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher