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Auf dem Maniototo - Roman

Auf dem Maniototo - Roman

Titel: Auf dem Maniototo - Roman
Autoren: C.H.Beck
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Diamantklapperschlangen, im Nachtwind; von den nach Ringelblumen duftenden Feuersteincottages in Norfolk; von dem nach Kohl und Lack riechenden Wohnschlafzimmer in London, in dem meine Tochter Edith wohnte, bis sie eine Wohnung fand; von den nach Ruß riechenden Zimmern, die mein «Zuhause» waren, den Plastikeimern für sauberes und schmutziges Wasser, den pfeifenden Teekesseln, den Ringen auf dem Gasherd und dem Gas, das sich in jeder Fuge, jeder Ritze aufhielt, um das Gasrohr, unter der Fensterbank, selbst in den Mietern, in ihren Fugen und Ritzen, auf ihren Fingerspitzen, auf ihrer Haut; ihre Herzen hatten die Fähigkeit zu schlagen wohl an den Großstadtverkehr abgetreten, der wie ein riesiger Schrittmacher die Herzenspflicht übernahm, während das echte Herz seine Rolle als erschlaffter Wohnschlafzimmermuskel beibehielt, letztendlich ein Verwandter des eisernen Gasrings, der zerschlissenen Bettwäsche, des fadenscheinigen Teppichs und des angeschlagenen Kaltwasserbeckens auf dem Treppenabsatz.
    Ich träumte von all den Häusern und Wohnungen und Nestern des Realitäten- und Irrealitätenmarktes der Welt; von den Originalen, den Nachbildungen; sogar von dem Schubkarrenhaus, das ich im Eingang einer Londoner Bank sah, die am Wochenende geschlossen hatte, mit einer alten Frau und ihren vier Katzen und zwei Hunden und ihrem Bündel mit Habseligkeiten, die sich hier für das Wochenende häuslich einrichtete; die Tiere gaben weder Gemurr noch Gebell von sich, lagen reglos wie Leichen im Schubkarren, während die alte Frau, den Mantel unter sich gebreitet, im überdachten Eingang der Bank schlief, unter dem Plakat mit der Aufschrift: «Das ist die Lösung all Ihrer finanziellen Probleme: Sofortige Wohnbaukredite. Problemlos. Ohne Wartezeit. Persönliche Betreuung.» Die alte Frau schlief, den Arm um eine der Katzen gelegt, um ein grau geflecktes, räudiges Tier mit einem eingerissenen linken Ohr und einem Schnurren, das im Wettstreit mit den Vibrationen der U-Bahnen die Grundmauern der nahe gelegenen Bahnhöfe King’s Cross, St. Pancras und Euston erzittern ließ.
    Und ich dachte an das Zimmer in der Villa in Menton, in der Margaret Rose Hurndell gelebt hatte, und an meine Besichtigung dieses Zimmers. Ich ging eine schmale Straße entlang, unter einer Eisenbahnbrücke hindurch und noch eine Straße entlang, die einst eine Römerstraße gewesen war, und sah auf der linken Seite die Tafel: «Margaret-Rose-Hurndell-Gedenkzimmer», mit ihrem Geburts- und Todesdatum (geboren 1930 – im selben Jahr wie Prinzessin Margaret Rose –, gestorben 1957; und wie Peter Wallstead bis nach ihrem Tod weitgehend unbekannt) und einer Aufzählung ihrer Werke. Der Garten war von Unkraut überwuchert, die Stufen, die in den kleinen Garten führten, mit einer dicken Schicht aus aufgeweichtenBlättern und von der Straße hereingeworfenen Papierfetzen bedeckt. Ich steckte den Margaret-Rose-Hurndell-Schlüssel (den ich mir ausgeborgt hatte) ins Schloss und stieß die mit Hitzeblasen übersäte Holztür auf, die sich nur halb öffnen ließ: Sie hatte sich «gesenkt», wie eine alte, verbrauchte Gebärmutter. Ich trat ein. Ich öffnete die winzigen Fenster und schob dabei die vielen Zweige zurück, die dagegen drückten. Langsam wurde das Zimmer «ausgelüftet», wie alte, lang verwahrte Wäsche. Kleine schnatternde Vögel begannen sich draußen zu regen, mit Pfiffen und heimlichtuerischen Geräuschen. Ein kühler Wind blies durch die Fenster herein und zur Tür hinaus, ein Zwischen-Winter-und-Frühling-Wind. Eine Atmosphäre der Trostlosigkeit lag über dem Zimmer und seiner Umgebung. Eine Tafel mit Wasserflecken teilte nähere Einzelheiten über den Werdegang Margaret Rose Hurndells mit. Ein paar Stühle mit kerzengeraden Lehnen wie in einem Pfarrhaus standen im Zimmer, außerdem ein Schreibtisch und ein Bücherregal (ein Armstrong-Stipendiat kam jedes Jahr, um im Gedenkzimmer zu arbeiten); und die Kälte lag in Schichten auf dem blanken Fliesenboden. Ich hörte, wie sich das Gras im vernachlässigten Garten wiegte, und das spröde Rascheln des Flachsstrauchs, jetzt eine Unzahl in die Höhe schießender grüner Lanzen, den eine wohlwollende Schriftstellerin neben der abbröckelnden Mauer gepflanzt hatte.
    Hier, so dachte ich, wäre ein Zufluchtsort, wenn man ein Geist oder ein Toter wäre. Ein plötzlicher Windstoß wehte tote Blätter, Zweige und ein Stück Papier herein. Die Atmosphäre der Trostlosigkeit und Verwahrlosung nahm zu: Der
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