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Auf dem Maniototo - Roman

Auf dem Maniototo - Roman

Titel: Auf dem Maniototo - Roman
Autoren: C.H.Beck
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die jedes Jahr eine Studentin «nahm», deren Leben bis zum Bersten voll war mit ihrer verheirateten Tochter und ihren Enkelkindern und die die meiste Zeit bei ihnen in der neuen staatlichen Wohnsiedlung auf der anderen Seite des Hügels verbrachte. Lorna und Tom und die Kinder.Sie wurde nie müde, von ihnen zu erzählen. Früh am Morgen erschien sie in Mantel und Hut, bereit, «über den Hügel» zu Lorna zu gehen, und jeden Abend redete sie am Esstisch, der stets voll war mit Tellern und kleinen Schüsseln und Porzellanplatten und -schalen und mit Bergen feuchter Nahrung, die dampften wie kleine Vulkane, von ihrem Tag bei Lorna – ein detaillierter Bericht über jeden Augenblick.
    Mein Zimmer war dunkel und hatte einen blank gebohnerten Fußboden und ein Fenster, das so züchtig und sorgfältig verdunkelt war, dass sich kaum je ein Lichtstrahl zeigte, außer wenn ich das braune, mit Fransen besetzte Rollo vorsichtig ein paar Zentimeter hochfedern ließ. Ein- oder zweimal schnellte es bis ganz hinauf, und ein rechteckiger Lichtblock wurde hereingeschleudert und traf die Kommode und den Teppich und den gebohnerten Fußboden und das Bett und die glatte rosafarbene Überdecke mit einem Schlag, der alles durch Sonnenschaden seiner Farbe zu berauben drohte, einen Vorgang, den man «Ausbleichen» nennt. Dann zog ich die Kordel des Rollos schnell wieder herunter und schloss die Sonne aus.
    «Lassen Sie die Vorhänge zugezogen und das Rollo geschlossen; nur so kann man sich schützen», sagte Mrs Tomlin. «Mir sind schon einige erschreckende Fälle von Ausbleichen untergekommen.»
    Ihre einzige Beschwerde über Lorna war, dass sie alle ihre Möbel ausbleichen ließ.
    «Dabei habe ich sie so gut erzogen!»
    Ich träumte auch von den Anstaltszellen mit dem kleinen, hohen, vergitterten Fenster mit den geschlossenen Läden und der Tür, die an der Innenseite keine Klinke hatte, und ich dachte an das Gefühl des Entsetzens, das mich jedes Mal überfiel,wenn ich nach der Klinke greifen wollte und meine Hand nichts fand. Haben Sie je in einem Zimmer gewohnt, dessen Tür innen keine Klinke hat, dessen Bett eine Strohmatratze auf dem Fußboden ist, die Decke ein Viereck aus grauem Segeltuch und der Nachttopf ein stinkendes, lakritzschwarzes Gummigefäß, der Rand grau, wo der Urin ihn im Lauf der Zeit angegriffen hat, die Wände voller Flecken und Schrammen an den Stellen, wo verängstigte Menschen dagegenschlugen und -hämmerten und -traten? Sie hatten ihre versteinerten Schreie und Rufe dort gelassen, wie eine Gesteinsader, damit ich sie erforschen konnte, und in einer Ecke – man konnte ihn nicht sehen, außer von einem bestimmten Blickwinkel aus – war ein kleiner Salzberg, der im Laufe der Zeit durch die vielen Tränen entstanden war, und überall an den Wänden und an der Decke und auf dem Fußboden war das Oval der durch das Guckloch spähenden Augen eingebrannt. Diese Zellen waren Zellen der Hoffnungslosigkeit. Sie waren die allerletzte Station: Danach gab es nichts mehr; es waren Einübungen in den Tod, und die tausend Augen waren die ewig gleichgültigen Augen der Grashalme und sonnenerfüllten Margeriten und Ringelblumen, der Zweizähne, die bei Berührung nur auf den Lebenden einen Fleck hinterlassen. Was kümmert die Lebenden der Tod, wenn sie von ihnen gewärmt werden? Schließlich kehrt die Sonne jeden Tag an den Himmel zurück, sie hält ihr Morgenversprechen, trotz theologischer Auseinandersetzungen, trotz der mit steinerner Miene vorgetragenen Rechthabereien, was die Identität des Schöpfers dieses Versprechens betrifft.
    Sie müssen verstehen, ich wurde mitgerissen von meinem Traum, wie das manchmal so ist. Und ich träumte von anderen Aufenthaltsorten, auf meiner ersten Reise, die mich vonNeuseeland wegführte, nachdem Lewis gestorben war, als ich die Balearen bereiste und die Erde und die Blumen und die Tiere kennenlernte, die die Häuser dort umgeben; das nach Schnee riechende Zimmer in den Pyrenäen mit dem großen Federbett; und die Schneekeile im Fenster; die nach Mandeln und Bohnenblüten duftenden Zimmer auf den Inseln, wo die Fenster über Meer und Sand blicken und das trockene, heimatlose Steppenkraut über den Strand wandert, eingerollt, immer wieder vom Wind weitergetragen, und wo in den Salzsümpfen blaue Blumen brennen.
    Und ich träumte von dem Haus auf den Bahamas mit den pelzigen Ratten auf meinem Kopfkissen und den Skorpionen auf dem Fußboden und dem Rasseln der Kokospalmen, wie von
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