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Die Schnapsstadt

Die Schnapsstadt

Titel: Die Schnapsstadt
Autoren: Mo Yan
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ERSTES KAPITEL
     
I
     
    Sonderermittler Ding Gou'er von der Oberstaatsanwaltschaft kletterte in den Lastwagen vom Typ Befreiung und machte sich auf den Weg zur Zeche Luoshan, um die Untersuchung des Falls aufzunehmen. Die Gedanken, die er sich auf der Fahrt machte, ließen seinen Kopf anschwellen, und die braune Schirmmütze Größe 58, die ihm sonst gut passte, wurde ihm zu eng. Er nahm die Mütze ab, betrachtete sinnend die feuchten Tropfen auf dem Schweißband und roch ihren säuerlichen Geruch. Er fühlte sich nicht wohl. Der Geruch war ihm nicht vertraut. Leicht angeekelt griff er sich an die Kehle.
    Der Wagen wurde langsamer. Die Schlaglöcher wurden immer bedrohlicher, und die Federung protestierte mit Quietschen und Knarren. Immer wieder schlug er sich den Kopf am Dach des Fahrerhauses an. Die Fahrerin fluchte über den Straßenzustand und beschimpfte die Fußgänger. Der Schwall von obszönen Ausdrücken, der sich pausenlos aus dem Mund einer jungen, einigermaßen gut aussehenden Frau ergoss, verlieh der Szene einen Hauch des Grotesken. Der Ermittler konnte es sich nicht verkneifen, die Fahrerin verstohlen von der Seite her zu beobachten. Das rosa Unterhemd, das aus dem Kragen ihres blauen Drillichhemds hervorsah, schützte den hellen Nacken vor der Sonne. Ihre dunklen Augen schimmerten wie Smaragde. Das Haar war extrem kurz geschnitten, sehr dick, sehr schwarz und sehr glänzend. Ihre Hände, die in weißen Handschuhen steckten, umklammerten das Lenkrad, während der Wagen zwischen den Schlaglöchern hin und her schlingerte. Neigte der Wagen sich nach links, verzog sich ihr Mund zur linken Seite; neigte er sich nach rechts, verzog sich ihr Mund zur rechten Seite. Und während ihr Mund sich nach links und rechts verzog, lief ihr der Schweiß von der Stirn über die Stupsnase. Die schmale Stirn und das feste Kinn verrieten ihm, dass sie verheiratet oder geschieden war: eine Frau, der der Sex nicht fremd war, eine Frau, die er gern näher kennen gelernt hätte. Für einen erfahrenen achtundvierzigjährigen Ermittler waren derartige Gefühle reichlich lächerlich. Er schüttelte den geschwollenen Kopf.
    Der Straßenzustand wurde immer schlimmer, und der Laster wurde immer langsamer. Bald kroch er nur noch voran wie eine Raupe und kam schließlich am Ende einer Kolonne zum Stehen. Die Fahrerin nahm den Fuß vom Gas, drehte den Zündschlüssel herum, zog die Handschuhe aus und versetzte dem Lenkrad einen Schlag. Dem Ermittler warf sie einen unfreundlichen Blick zu.
    «Nur gut, dass ich kein Balg im Bauch habe», sagte sie.
    Er erstarrte einen Augenblick. Dann sagte er lächelnd:
    «Wenn da etwas gewesen wäre, hättest du es längst losgeschüttelt.»
    «Das wäre mir nie passiert», sagte sie sehr ernst, «nicht für zweitausend Eier.»
    Mit dieser Äußerung warf sie ihm einen Blick zu, den man nur als herausfordernd bezeichnen konnte. Anscheinend erwartete sie eine Antwort. Ding Gou'er war der kurze und nicht gerade gepflegte Wortwechsel peinlich. Er fühlte sich wie eine Kartoffel, die in ihr Körbchen gerollt war. Wenn sich hinter ihren zweideutigen und anzüglichen Bemerkungen die verbotenen Geheimnisse der Sexualität offenbarten, schrumpfte die Entfernung zwischen ihm und ihr fast auf null. Ärger und Unsicherheit machten sich in seinem Herzen breit. Er sah sie aufmerksam an. Wieder verzog sie den Mund, und er war peinlich berührt. Jetzt ahnte er, dass sie eine zurückhaltende, schwer fassbare, törichte und seichte Frau war. Jedenfalls niemand, vor dem er seine Zunge hüten musste.
    «Warst du schon einmal schwanger?», fragte er abrupt.
    Damit hatte er endgültig den Rahmen unverbindlicher Konversation überschritten. Seine Frage hing in der Luft wie halbgare Speisen. Doch sie würgte die Peinlichkeit mutig herunter und antwortete ungeniert:
    «Ich habe da ein Problem: alkalischer Boden.»
    Auch wenn sein Auftrag noch so wichtig ist, würde kein wahrer Sonderermittler sich wegen seiner Arbeit eine Frau entgehen lassen; im Gegenteil: Frauen sind ein Teil des Auftrags. Ein Spruch, der sich unter seinen Kollegen großer Beliebtheit erfreute, kam ihm plötzlich in den Sinn. Lüsterne Gedanken nagten wie Insekten an seinem Herzen. Ding Gou'er zog einen Flachmann aus der Tasche, zog den Plastikstöpsel heraus und ließ erst einen kräftigen Schluck die eigene Kehle herunterrinnen, um dann der Lastwagenfahrerin die Flasche anzubieten.
    «Ich bin Agronom und Spezialist für Bodenveredlung.»
    Die
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