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Auf dem Maniototo - Roman

Auf dem Maniototo - Roman

Titel: Auf dem Maniototo - Roman
Autoren: C.H.Beck
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war.
    Rätsel:
    Ich gebe viele Rätsel auf.
    Die Sonne hat mich verbrannt. Ich blute.
    Ich reiße und heile. Ich wachse zusammen.
    Ich bin ein Kleid, ein Gefängnis. Ich schütze Blüten und Samen.
    Ich schrumpfe und dehne mich aus und passe doch immer.
    Ich bin ein Gefängnis, für dich gebaut.
    Was bin ich?
    Ich bin deine Haut.
    Violet Pansy Proudlock, Alice Thumb. Ein wenig Mavis und Susan.
    Wie ich schon sagte, ich habe zwei Männer begraben.

3
    Als ich mich vor einigen Jahren in den Vereinigten Staaten aufhielt, drauf und dran, einen trostlosen, ungemütlichen Sommer bei den Küchenschaben im Zentrum von Baltimore zu verbringen, wo ich ein Zimmer im Souterrain hatte, auf gleicher Höhe mit den Abwasserkanälen und den Gasrohren und all den unterirdischen Anlagen einer Großstadt, schrieb mir meine Freundin, eine Dichterin aus Kalifornien mit einer pferdebegeisterten Tochter und einem Ehemann, der bei Futureland Ltd. arbeitete, um mir Folgendes mitzuteilen:
    «Du musst unbedingt unsere Nachbarn Irving und Trinity Garrett kennenlernen. Sie haben Deine beiden Bücher gelesen und würden Dich gern persönlich kennenlernen, um Dir dann sechs Wochen lang ihr Haus zu überlassen, während sie nach Italien reisen. Sag doch zu.»
    Irving sei Städteplaner, schrieb meine Freundin Grace Loudermilk. Und Trinity in der Textilbranche. Beide seien im Ruhestand.
    Die Loudermilks hatten das Geld für den Flug beigelegt.
    Und so kam es, dass ich im Frühsommer vor drei Jahren im Haus der Garretts hoch oben in den Berkeley Hills saß, Sherry trank und kleine Bällchen aß, sogenannte Cocktailhäppchen; dabei dürfen die Hände Klauen und Schnäbel spielen und nach den angebotenen Bissen greifen und schnappen. Aus den Augenwinkeln sah ich eine hölzerne Shakespeare-Maske, die an der Wand neben der Tür zur Terrasse befestigt war. (Da sie annahmen, ich würde auf ihr Angebot hin in ihrem Haus wohnen, hatten sie mir schon das Öffnen, Schließenund Versperren dieser Tür beigebracht.) Die Maske war zahnlos, ohne Augen, hatte eine lange Nase, Brandmale auf der Stirn und zwei Nagellöcher im Schädel, auf jeder Seite eines.
    «Sie sind weit weg von zu Hause», sagte Trinity. «Neuseeland liegt am Ende der Welt.»
    «Haben Sie die Shakespeare-Maske gemacht?»
    «Ein Freund von uns. Gefällt sie Ihnen?»
    «Er sieht sehr alt aus und blind.»
    «So wird er meistens abgebildet.»
    Sie sprach mit einer Vertrautheit, als handle es sich um einen Cousin oder Onkel, wie Leute eben von Shakespeare sprechen, der ein offenes menschliches Haus führt und deshalb jedermanns geschätzter Verwandter ist.
    Grace Loudermilk, die ein paar Tage lang meine Gastgeberin war, während die Garretts und ich uns gegenseitig beäugten und taxierten, hielt das Gespräch in Gang, indessen ich beobachtete und zuhörte, und als sie mich nochmals fragten, ob ich ihr Haus wolle, sagte ich Ja, ich würde einziehen, sobald sie nach Italien aufbrächen. Die Loudermilks hatten vor, nach Mexiko zu reisen, und ich würde allein sein mit meinem Schreiben.
    «Sie erweisen uns ja auch einen Dienst damit, und für alle Zahlungen ist gesorgt: laufende Kosten und so weiter.»
    Sie waren zufrieden. Ich hatte das Haus akzeptiert. Und ich hatte ihnen Länge, Breite und Einwohnerzahl Neuseelands sowie seine Entfernung vom «Mittelpunkt» der Welt mitgeteilt. Ich saß da, während sie von ihrer Liebe zu Italien sprachen.
    Irving sah nicht älter aus als fünfundvierzig, obwohl ich wusste, dass er fast sechzig war; statt Falten zu bekommen,entwickelte seine Haut eine rosige Frische, wie manchmal bei Männern, denen die chemischen Voraussetzungen für das Altern fehlen. Er war schlank, hatte dünnes helles Haar und kleine Hände und Füße. Trinity, fast siebzig, war von aufrechter Statur, groß, kantig, mit glatter Gesichtshaut und weißem Haar, das knapp die Ohren bedeckte, einem «Bubikopf» im Stil der Zwanzigerjahre, der Zeit, als sie jung gewesen war. Zwei Fotos auf dem Mosaiktisch neben ihr bestätigten die spielerische Wiederholung ihrer eigenen Jugend: auf dem einen Kopf und Schultern eines in duftiges Rosa gehüllten Mädchens, auf dem anderen die heutige Trinity in einem Pullover aus der flaumig weichen Wolle, die wir in Fortsetzung unserer Kindheit «Häschenwolle» nannten. Später, bei einem Rundgang durch das Haus, bemerkte ich, dass diese beiden Bilder auch auf Irvings Schreibtisch standen, so als hätte er sich, seine Fähigkeit, eine Stadt und ihre Gebäude
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