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Auf dem Maniototo - Roman

Auf dem Maniototo - Roman

Titel: Auf dem Maniototo - Roman
Autoren: C.H.Beck
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dass ich voller Bewunderung für ihn war. Die Kinder hatten ihn in besterErinnerung, da er ihnen Geschenke gebracht hatte – ein Walkie-Talkie für Noel, eine Uhr mit römischen Ziffern an einer Kette für Edith.

5
    Das erste Mal besuchte ich Baltimore im Winter. Die schweren Schneefälle waren vorüber, aber alle paar Tage fielen verstreute Flocken auf die vereisten Gehsteige, und aufgrund der Temperaturen, die Tag und Nacht unter dem Gefrierpunkt lagen, hielt sich das Eis. Ich fand alles bezaubernd und die eiskalte Luft so verführerisch und befriedigend, als stille sie ein lang vergessenes Begehren, während der Himmel voll Schnee mich an die Zeichenstunden erinnerte, die ich in der Schule am liebsten gehabt hatte und in denen wir mit Aquarellfarben umgehen lernten. Man zeigte uns, wie man die Brandung und Meer und Himmel und Horizonte malt, und dann mischten wir mühevoll Schwarz und Weiß und malten den Himmel voll Schnee, denselben Himmel, der sich jetzt über Baltimore senkte. Ich blickte zu ihm auf mit einem feierlichen Gefühl der Unmöglichkeit, noch verstärkt durch die Erinnerung an den Lehrer, der Jahre später in leidenschaftlichem Ton verkündete, Aquarellfarben seien nichts für Kinder, sie seien etwas Hochentwickeltes, Geheimnisvolles und Schwieriges und sollten niemals von jungen Menschen angerührt werden.
    Als ich in der ersten Nacht in der Hitze der Zentralheizung schwitzte und statt des mitgebrachten dicken Flanellnachthemdes nur ein dünnes Nachthemd trug und die einzige Decke schon vor Stunden vom Bett im kleinen Zimmer im ersten Stock neben dem Badezimmer geworfen hatte, zog ich den Vorhang vor dem vergitterten Fenster zur Seite und schaute hinaus, während ich dem Schneewind zuhörte, der um jedesAbflussrohr und jede Ritze in den brüchigen Mauern heulte und klagte, Dachziegel hob, an die Doppelfenster schlug und jedes Mal, wenn es ihm gelang, den Aluminiumrahmen anzuheben und zwischen die Scheiben zu kriechen, ein verlassenes Wehklagen von sich gab. Das Fenster blickte auf zwei Respekt einflößende Schulgebäude aus Stein, die einander in der engen Gasse gegenüberstanden. Die vielen Fenster waren vergittert, die hohen Steinmauern von Eisenspitzen gekrönt. Die Nacht war grau vom Stein und vom Schnee und gelb von den Suchscheinwerfern der Straßenbeleuchtung. Die entlaubten Sträucher im winzigen Garten hinter dem Haus sahen aus, als wären sie aus Zement gegossen und hätten niemals Blätter getragen; und doch hatte Brian, als er mich stolz durch den Garten führte, auf einen abgestorben aussehenden Zweig gezeigt und gesagt: «Das ist eine Forsythie.» Wie konnte sie die Erinnerung an ihre gelbe Vergangenheit bergen und mir kein Zeichen geben?
    Während ich schaute und horchte, hörte ich neben dem Wehklagen des Windes immer wieder ein anderes Geräusch, das wie das Heulen eines Wolfes klang. Wölfe in der Stadt? Das Heulen dauerte bis zur Morgendämmerung, die sich nur durch eine Veränderung des grauen Schattens der Welt und durch das Sichtbarwerden der Umrisse von Gegenständen und Gebäuden ankündigte, so als stiegen sie aus einem finsteren Schacht auf – wie wenn man sich in einem Theater bei permanent schwacher Beleuchtung problemlos auf das Szenenbild einstellt (oder wie ein Hotelzimmer auf der nördlichen Halbkugel im Winter).
    Als Brian und ich am Morgen Kaffee tranken, fragte ich ihn: «Hast du die Wölfe heulen gehört? Ich habe nicht gewusst, dass es in Baltimore Wölfe gibt.»
    «Heulende Wölfe? Wenn ich schlafe, höre ich nichts.»
    Er hatte, wie so manche Menschen, die Angewohnheit, persönliche Eigenheiten als Tugenden hinzustellen.
    «Ich bin sicher, es waren Wölfe.»
    «Hunde vielleicht.»
    «Nein, es hörte sich an wie Wölfe.»
    «Das hast du dir wahrscheinlich eingebildet.»
    «Nein, es war ein Rudel Wölfe.»
    An diesem ersten Morgen, an dem Brian sehr zeitig zur Arbeit gegangen war, ging ich, in einer neuen Stadt nie sehr wagemutig, hinüber zum Supermarkt, kaufte mir, von den Schildern aufgefordert, «ein Hotdog mit allem Drum und Dran» und sah mit Vergnügen zu, wie der Verkäufer all die zusätzlichen Herrlichkeiten, aus denen das «Drum und Dran» bestand – Zwiebeln, Delikatessgurken, Saucen und so weiter –, aufhäufte und ertränkte und schließlich alles in ein langes weiches Brötchen bettete. Ich zahlte die vierzig Cent, nahm das feucht umwickelte, von Saucen triefende Hotdog und ging rasch zurück nach Hause. Unterwegs entnahm ich dem Drahtkäfig
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