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Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Titel: Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
Autoren: Tuvia Tenenbom
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keine Ausnahme. Mir gefällt das. So setze ich mich mit ein paar deutschen New-York-Besuchern zusammen. »Wir Deutschen sind gezwungenermaßen Kapitalisten, Kapitalisten wider Willen, während ihr Amerikaner willige Kapitalisten seid.« Sie lieben und hassen Amerika zugleich. Sie lieben die Beatles, erzählen sie mir. Ich mache mir nicht die Mühe, sie daran zu erinnern, daß die Beatles keine Amerikaner waren, warum sollte ich? Sie finden die Amerikaner, die sie kennengelernt haben, toll, verraten sie mir obendrein. Und sie lieben New York. Lieben es einfach. Sie sind andererseits sehr kapitalismuskritisch. Kapitalismus ist schlecht. Bier hingegen ist gut. Ich bestelle mir eine Cola light mit Eis, sie bestellen Bier. Sie sehen das Eis und sagen: »Typisch amerikanisch!« Für sie ist man Amerikaner, wenn man Cola mit Eis bestellt. Und das ist das zweite, was ich heute lerne. Nämlich wer ich eigentlich bin: ein Amerikaner. Kein Deutscher, kein Araber, kein Jude. Ein Amerikaner. Gut zu wissen.
    Mein Ticket ist bezahlt, die Koffer sind gepackt, da ruft drei Stunden vor dem planmäßigen Abflug das Reisebüro an. »Fahren Sie gar nicht erst zum Flughafen«, sagt man mir. »Ihr Flug wurde gestrichen.« Gestrichen? Yep. In Island ist irgendein bescheuerter Vulkan ausgebrochen und überzieht Europa mit Aschewolken. Ich dachte, das Thema Aschewolken über Europa hätte sich seit dem letzten Krieg erledigt, aber diese hier sind anders. Nämlich höchst gefährlich für Flugzeuge oder so; ich bin kein Ingenieur. Ich weiß nur, daß eine Wolke aus Asche zwischen mir und Europa steht, zwischen den Kapitalisten und den Kapitalisten wider Willen. Und der europäische Luftraum liegt zur Hälfte am Boden. Ich bin bereit, jedes beliebige Ticket zu nehmen, das mich nach Europa bringt, und kann auf einen Flug in drei Tagen umbuchen. Kostenpunkt: 917 US-Dollar. 100 Dollar mehr als der annullierte Flug, aber das ist in Ordnung. Ein paar Stunden später wird genau dieses Ticket noch ein bißchen teurer. Das ist Kapitalismus, könnte man sagen. Die Lufthansa würde sich glücklich schätzen, mich für schlappe 9800 Dollar ans selbe Ziel zu bringen. Aber die Lufthansa ist deutsch, also kann das ja so recht kein Kapitalismus sein.

Kapitel 2   Dem zu entnehmen ist, daß man in Rom Bescheid weiß: Schon die alten Juden aßen Schinken und Muscheln
    Drei Tage später hebt mein Flieger ab. Angehörige meiner Familie verschwanden in den Aschen Europas, ich hingegen trickse jetzt die Aschewolke aus. Ich bin ein amerikanischer Held. Ich werde Europa besiegen! Deutschland wird zu meinen Füßen liegen wie ein offenes Buch. Das jedenfalls ist der Plan.
    Ich sitze jetzt im Bauch des Flugzeugs. In vier Stunden lande ich in Rom. Von dort fliege ich nach Budapest. Und von Budapest nach Hamburg. Ein kleiner Umweg nach Deutschland, aber ein sicherer Weg an der dämlichen Wolke vorbei. Wir Juden sind seit Tausenden von Jahren auf Wanderschaft, wir kennen die sichersten Wege. Und tatsächlich, schließlich landet dieser amerikanische Held, ein weltreisender Jude, in Rom. Wohlbehalten. Sicher. Pünktlich. Perfekt. Ich laufe hinüber zu meinem Anschlußflug. Ich bin am Gate. Das Flugzeug nicht. Ich bin allein am Gate. Alle übrigen Fluggäste sind am anderen Ende des Flughafens, wie mir bald klar wird. Also nichts wie hin. Ich bin kein Polizist und weiß nicht recht, wie man Menschenmengen zählt, aber meiner vorsichtigen Schätzung nach sind hier etwa zehn bis 20 Millionen versammelt. Ich laufe zu ihnen hinüber und versuche, ein Gespräch mit ihnen anzuknüpfen. Worauf sie sich bereitwillig einlassen würden. Ob ich Italienisch spreche? Ja klar, als alter Lateiner.
    Nein, natürlich nicht, kein einziges Wort!
    Da fühlt sich Ihr amerikanischer Held plötzlich wie ein amerikanischer Soldat in Afghanistan. Man hat ihn hierherverfrachtet, und er möchte für sein Leben gern so schnell wie möglich wieder weg, weiß aber nicht, wie er das anstellen soll. Der jüdische Reisende in mir entdeckt mit einemmal ein Englisch sprechendes Individuum. Einen jungen Zigeuner. Auch er ist auf dem Weg nach Budapest, erzählt er. Prima! Recht schönen Dank an meine Glückssterne! Kann er mir erklären, wie ich nach Budapest komme? Ja, klar! Er führt mich zu einer Warteschlange. Sie ist leider länger als die Chinesische Mauer. Immer noch besser als ein verwaistes Gate, sollte man meinen. Was macht man angesichts einer solchen Schlange? frage ich ihn.
    »Hinten anstellen
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