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Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Titel: Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
Autoren: Tuvia Tenenbom
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Polizeibrutalität?
    »Ja!«
    Gut. Wir machen Fortschritte. Der Typ mit der Limonade gibt auf. Brutalität? Brutalität! Ich muß meine Ratlosigkeit eingestehen. Wie kommt man von Limonade auf Brutalität, wenn die Frage gestattet ist?
    »Wo kommst du her?«
    Aus Jordanien. Heute bin ich aus Jordanien.
    Auch dieser Mann hat ein Faible für Jordanien und nimmt sich Zeit, dem dummen, aber liebenswürdigen Araber zu erklären, was Sache ist: »Die Polizisten hier sind brutal. Sie denken nicht selber. Sie folgen nur Befehlen.«
    Es ist verregnet und schmutzig, und ich wüßte gerne, wie weit wir noch marschieren müssen. Ich frage ihn, ob er weiß, wohin der Demonstrationszug führt.
    Er weiß es nicht.
    Und wo gehst du hin?
    »Da, wo alle hingehen.«
    Du folgst den anderen?
    »Ja.«
    Wie die Polizisten ihren Befehlen?
    Er grinst. »Ja«, sagt er, »so kann man es sehen.« Er zündet sich eine Zigarette an, nimmt noch einen Schluck Bier und starrt mich an.
    Jordanier sind vielleicht gar nicht so dumm.
    Wir kommen zu einem Platz namens Sternschanze. Hier geschieht nichts Besonderes. Außer, daß noch mehr Bier getrunken wird. Und noch mehr. Wer kein Kapitalist ist, folgere ich, trinkt Bier. Unmengen. »Wir warten auf den Einbruch der Nacht«, vertraut mir schließlich jemand an.
    Dann ist es endlich Nacht. Die Jugendlichen, die seit Stunden Bier trinken wie die Kamele, beschließen, daß sie noch etwas haben wollen für ihr Geld: einen Mehrwert aus den leeren Bierflaschen. Klar! Schließlich haben sie sie bezahlt. Also werfen sie die Flaschen. Überallhin. Auf die Polizisten, auf Geschäfte. Alles, was sich bewegt oder nicht bewegt, verdient eine leere Flasche. Dann fliegen Steine. Oder was auch immer. Hauptsache, es kann jemanden verletzen oder töten. Rechts von mir sehe ich einen jungen Mann, der blutend zwischenzwei Autos auf der Straße liegt. Niemand schert sich drum. Das hier ist ein Kriegsschauplatz. Eine Schlacht. Und in der Schlacht zwischen den jungen Biertrinkern, die Limonade wollen, und der Polizei, die sie ihnen vorenthalten will, scheint letztere zu unterliegen. Die Polizei wehrt sich mit Wasserwerfern, die sie aber nur sporadisch einsetzt. Spritz und stop. Spritz. Stop. Sie benutzt aber nicht nur Wasser, sondern auch Videokameras. Das ist ein überraschend schöner Anblick: Die Polizisten halten Videokameras in die Menge. Nicht die Limoisten, sondern die Polizisten scheinen Angst zu haben, im Gefängnis zu landen. So läuft das hier, scheint mir. Die Polizisten müssen ihr »korrektes Verhalten« dokumentieren.

    Auf dem Treppenabsatz neben mir zersplittern Flaschen. Ich frage die Limoisten, warum sie das machen. Sie erklären mir, daß sie an Freiheit, Frieden und Liebe glauben.
    Ich hoffe, die verlieben sich nicht in mich. Diese Liebe scheint unbändig. Im weiteren Verlauf der Nacht fangen die Liebenden/Limoisten an, Molotowcocktails zu werfen. Bumm! Bumm! Bumm!
    Dies ist Tag eins meiner Deutschlandreise, und schon fühle ich mich völlig verloren. Ich habe Stunden hier zugebracht und verstehe rein gar nichts. Das einzige, was ich bislang herausgefunden habe, ist: Ich bin Zeuge einer Schlacht zwischen Limoisten und Videokameraträgern, bei der die Beteiligten beider Seiten im Krankenhaus oder auf dem Friedhof landen können. Aber was ich nicht begreife: Warum können beide Parteien nicht friedlich zusammen trinken und Schnappschüsse machen? Irgend etwas entgeht mir hier. Das muß mir unbedingt jemand erklären.
    Ich verlasse dieses Bumm! Bumm! Bumm!-Techno/Rap-Konzert und gehe zur nächsten S-Bahn-Station. Nur leider fahren die S-Bahnen nicht. Die U-Bahnen auch nicht. Und die Taxen auch nicht. Ich muß zu Fuß gehen, wie Adam und Eva. Mit dem Unterschied, daß die Straßen hier mit Glasscherben übersät sind, ein Garten Eden ist das nicht. Wie kamen wir gleich noch mal von frischem Obstsalat zu Mollies?
    Zurück in die Studenten-WG, in der ich während meiner Zeit in Hamburg ein Zimmer habe. Vielleicht kann mir hier jemand erklären, was ich eben gesehen habe. Aber als ich gerade mit meinen Fragen loslegen will, sehe ich, daß die Wohnung voll mit leeren Bierflaschen ist. Bier, wohin ich auch blicke. Es müssen Hunderte Flaschen sein. Wahrscheinlich sollte ich keine Zeit damit verschwenden, mit weiteren Trinkern zu diskutieren. Wie diese Studenten es schaffen, irgend etwas zu studieren, ist mir ein Rätsel.
    Im obersten Stockwerk des Hauses lebt eine alte Dame, die kaum noch laufen kann. Junge
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