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Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Titel: Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
Autoren: Tuvia Tenenbom
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    Ich bin aber in Norddeutschland. Gibt es im Norden keine Nazis?
    Selbstverständlich nicht. Hamburger können keine Nazis sein. »Wir in Norddeutschland haben keine Nazis«, brüsten sich die stolzen Hamburger. Außer natürlich, man begegnet hier Menschen, die keine gebürtigen Hamburger sind, Leuten, die sich einen Deubel um Hamburgs guten Ruf scheren. »Ja«, behaupten diese Leute nämlich, die Nordhasser, »es gibt jede Menge Nazis« hier. Und wo? »Fang mal in Neumünster an«, sagen sie, »und dann einfach dranbleiben.«
    Neumünster. Noch nie gehört? Ich bis dahin auch nicht, aber das gibt es wirklich. Nichts wie hin!

Kapitel 4   In dem ich mich im Kampf gegen den jüdischen Teufel den Rechtsradikalen anschließe
    Ausgangspunkt: Titanic. Halb Café, halb Club, vor allem aber eine Dartkneipe. Männer und Frauen, die sich allesamt kennen und alle zwei Minuten gegenseitig abklatschen, werfen Darts auf fünf Dartscheiben. Zwischendurch trinken sie Bier, mehr Bier, Kaffee und noch mehr Bier. Cappuccino. Bier und Bier. Noch einen Cappuccino. Noch ein Bier. Mehr Bier. Und noch ein Bier. Dann einen Kaffee. Und ein Bier. In den rund zwei Stunden, die ich zuschaue, trifft ein Mann einmal ins Bull’s Eye. Meistens aber landen die Pfeile nicht näher am Ziel als irgendwo zwischen dem Double- und dem Triple-Ring, etliche auch außerhalb des Doubles. Auf dem Boden zum Beispiel. CIA-Attentäter werden diese Leute nicht mehr. Aber wen juckt’s? Einen Kaffee und zwei Bier, bitte.
    Die Linken beziehungsweise Linksradikalen trinken Bier. Bier und noch mal Bier, sage ich mir. Diese Leute hier mischen Bier und Kaffee. Heißt das jetzt, daß sie Nazis oder Neonazis sind?
    Könnte schon sein. Wir sind hier in Deutschland. Hier ist alles möglich. Limonade bedeutet ja schließlich links, man stelle sich vor.
    Ich hätte gern zwei Kaffee und ein Bier, sage ich dem Kellner, denke aber sofort: Hoffentlich habe ich keinen Fehler gemacht. Zwei Kaffee und ein Bier könnten hier Wer-weiß-was bedeuten. Zum Beispiel, daß man ein Jude ist. Das wäre schrecklich. Ich meine, wenn das hier Nazis sind.
    »Sei bloß vorsichtig«, sagte man mir, bevor ich nach Neumünster fuhr. »Das ist ein gefährliches Pflaster. Trag auf keinen Fall deinen roten Schal. Rot heißt links. Laß deinen Schal zu Hause. Bitte!«
    Ich lachte, und mein roter Schal lachte mit mir. Aber jetzt sind wir etwas kleinlaut geworden, mein roter Schal und ich.
    Zwei Kaffee. Hab ich sie noch alle?
    Vielleicht sollte ich eine Flasche Wodka bestellen, murmele ich … Nein, bitte nicht! Nicht mit diesem roten Schal …!
    Oha, nicht mehr lange, und ich verliere noch komplett den Verstand.
    In Hamburg hatten mir seinerzeit die Nordhasser von einem Ort namens Club 88 in Neumünster erzählt. 88 steht für HH, Heil Hitler . Fragt sich: Wo zum Henker ist der? Vielleicht wissen es diese Dartfreunde. Ich kann sie ja mal fragen, oder?
    Entschuldigung, wissen Sie, wie ich von hier zum Club 88 komme?
    Fragen kostet nichts. Und selbst wenn diese Leute hier Linke wären und Schußwaffen hätten, müßte ich mir keine Sorgen machen. So wie sie zielen.
    Doch wie sich zeigt, denken die Typen von der Titantic gar nicht daran, mich zu erschießen. Nicht einmal im Traum. Sie freuen sich vielmehr, mir weiterhelfen zu können. Der Club 88 ist genau ihr Ding. Bereitwillig weisen sie mir den Weg. Klasse. Ich habe ins Bull’s Eye getroffen.
    Club 88. Schon mal dort gewesen? Von außen sieht der Laden vielversprechend aus. Nur leider ist er geschlossen. Die schwarzen Türen reagieren auf keinen meiner Versuche, sie zu öffnen. Aber Juden, soviel sei gesagt, hätten nicht Tausende Jahre im Exil überlebt, wenn sie nicht geduldig gewesen wären. Ich habe Geduld. Und Geduld zahlt sich aus.
    Frank, der Besitzer des Clubs, fährt vor. Er stellt seinen Wagen ab und sagt Hallo.
    Heil Hitler . Wir sind im Geschäft.
    Er öffnet weit die Türen.
    Und Menschen strömen herein. Anhänger.
    Ich erzähle meinen neuen Freunden, daß ich ein Computerfachmann aus den Vereinigten Staaten bin und deutsche Eltern habe. Ich wurde in Deutschland geboren, erkläre ich ihnen, doch wanderten meine Eltern nach Amerika aus, als ich ein Jahr alt war. Ich heiße Tobias und bin ein reinrassiger Arier. Ich bin in Deutschland auf der Suche nach meinen Wurzeln, außerdem hätte ich so gerne eine dieser Club-88-Mützen. Sie mögen meine Geschichte, das sehe ich an ihren Blicken. Ich entscheide mich für die Mütze,
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