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In keinem Universum

In keinem Universum

Titel: In keinem Universum
Autoren: René Jossen
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Ein warmer Sommerabend. Eindeutig die falsche Kulisse für die
Ereignisse die ihn erwartet hatten. Eine Fehlentscheidung und sein
Schicksal war besiegelt. Selbst eine Warnung hätte ihn nicht von
dieser Reise abhalten können. Jetzt, wo er sich dem Ende so nah
fühlt, beginnen seine Gedanken klarer zu werden.
    Es ist unwahrscheinlich, dass dieser bizarre und verhängnisvolle
Hergang seltsamer Ereignisse ein geplanter war. Trotz und auch
gerade aufgrund dieser Erkenntnis weiss er, dass es kein Szenario
für diese Nacht hatte geben können, in welchem ihn jemand gewarnt
hätte. Wo ihn jemand zurückgehalten, gerettet hätte.
    In keinem Universum.
    Der Abgrund vor, hinter und neben ihm fällt in unsichtbare
Tiefen. Er kann ein leises grollen hören und fühlt ein Licht, eine
Wärme, die vom scheinbar schwarzen Grund empor zu steigen scheint.
Das Licht fühlt sich rot an. Selbst nach den unglaublichen, wirren
und vollkommen irrealen Geschehnissen dieser Nacht ist ihm klar,
dass dieses rote Licht nicht existiert. Der Versuch, eine Farbe zu
fühlen muss ein verzweifelter Versuch seiner Gedanken sein, Leben
in diese monochrome Unwirklichkeit zu pressen.
    Das Gras unter seinen Füßen fühlt sich trocken an. Es muss grün
sein, zeigt sich seinen Augen aber nur in einem unklaren, dunklen
Grauton. In der Nacht sind wohl auch alle Gräser grau.
    Ein Windstoß, unerwartet kraftvoll, weckt ihn aus seiner
träumenden Beobachtung. Während der Wind immer heftiger wird,
scheint seine kleine Insel in den Wolken zu schrumpfen. Die Ränder
brechen in sich zusammen und fallen in die Tiefe. Er torkelt,
schaut sich um und versucht sich festzuhalten. Kein Strauch, kein
Baum mehr. Auch er fällt.
    Vor nur zwei Stunden war alles noch anders. Verrückte Musik,
verrückte Leute, verrückte Party. Da war alles noch gut. Alles noch
real. Er war noch real.
    Und dann war da dieses Mädchen. Jung, schön und offensichtlich
bereit. Wofür auch immer. Mit ihren grossen, blau und fast grell
leuchtenden Augen schaute sie ihn an.”Zeige mir etwas neues,
überraschendes”, flüsterte sie. Sie wollte raus. Diesem verrückten
Trott entfliehen. Es schien ihr sehnlichster Wunsch zu sein. Ihm
war klar: Er musste ihr dabei helfen.
    Er griff nach ihrer Hand und führte sie durch die Mengen. Die
Lichter, die Rhythmen, alles zog an ihnen vorbei. Es war, als ob
die anderen gar nicht mehr da waren. Die Rhythmen verschwanden und
die Lichter durchzogen die Räume wie zähe Flüssigkeiten.
Vermischten und verloren sich.
    Sie Sprachen nicht miteinander. Nicht im Club, nicht auf der
Strasse und auch nicht auf dem Weg durch den Wald. Mit dem ersten
schritt auf dem Trampelpfad schien die ganze Zivilisation weg zu
sein. Keine Autos mehr, keine synthetischen Lichter. Nur die
Sterne, der Himmel, die Glühwürmchen und das Licht am Horizont, das
sich nicht entscheiden konnte, ob es tiefblau oder doch fast pink
wabern wollte. Er musste bei diesem Anblick an die Polarlichter
denken und wusste, das war nichts neues, nicht überraschendes.
    Mit einem mal blieb sie stehen, drehte ihn nah zu sich und
presste ihren Kopf an seine backe. Ihr Atem strich warm, zart und
voller leben seinen Nacken entlang. “hier soll es sein.”
    Ein Rauschen kam auf. Es zischte um die Bäume, rieb Äste an
Blättern und aus der Entfernung sah er ein Licht auf sie zukommen.
“Das ist er”, meinte sie nachdenklich und kaum hörbar. “unser Zug!”
Das grosse, starke Gefährt grub sich seinen Weg direkt durch das
Dickicht dieses Waldes. Die Pflanzen schienen der Lok selbständig,
freiwillig und sogar ehrenvoll auszuweichen. Der Zug hielt neben
ihnen.
    Irgendwie war das alles seltsam, so seltsam. Ein Gedanke
flatterte in seinen Gedanken auf. Es war alles wie in einem
Traum.
    Nach dem Betreten des Abteils schlossen sich die Türen und der
Zug raste wieder weiter. Das Mädchen sass auf einen Platz, er
setzte sich ihr gegenüber. Wiederum fiel kein einziges Wort. Sie
schauten sich nur an und das genügte. Ihr langes, dunkelrotes Haar
fiel in grossen Schrauben neben ihrem Gesicht auf die Schultern und
darüber hinweg auf den Rücken. Ihr lockeres, schwarzes Kleid mit
den freien Schultern flatterte im Wind. Einem Wind, den es in
diesem geschlossenen Raum gar nicht gab. Der Moment war perfekt,
sie war es und er war es auch.
    Ein hoher, klingelnder Ton zog sich unerwartet durch den Waggon.
Sie war verschwunden. Er schaute sich um in der Furcht, sie
verloren zu haben. Sie stand jedoch einfach wieder draussen
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