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Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Titel: Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
Autoren: Tuvia Tenenbom
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Amerikanachäfferei, Gesetzesfetischismus, blitzgescheite Dummheit und, am schlimmsten von allem, kindischen Extremismus.
    Als ich in Berlin war, lernte ich den herausragenden Intellektuellen Peter Scholl-Latour kennen. Wir führten ein längeres Gespräch, und als ich seine Dachwohnung verließ, sagte er zu mir: »Als Deutscher bitte ich Sie, nicht zu glauben, daß die meisten Deutschen Antisemiten sind.«
    Tja … ja und nein. Der Antisemitismus, dem ich in Deutschland begegnet bin, ist vermutlich eher unbewußter als bewußter Natur. Wahrscheinlich handelt es sich eher um einen Teil der Seelengeschichte der Deutschen als um einen durchdachten Antisemitismus. Vielleicht in der Art: Ich muß dem die Schuld geben, den ich getötet habe. Es ist nicht derselbe Antisemitismus wie der, dem ich etwa in Polen begegnet bin. Der polnische Antisemitismus hat religiöse Wurzeln, soweit ich das beurteilen kann. Der deutsche gründet in Psychologie und Narzißmus. Opa und Oma haben Unterhaltungszentren wie den Zoo-mit-Krematorium gebaut, und damit kann ich nicht leben. Für sie war es das doppelte Vergnügen zum selben Preis, für ihre Enkelkinder jedoch ist es der doppelte Horror. Der schnellste und kindischste Weg, sich vom Gewicht eines solchen Gepäcks zu erleichtern, besteht darin, »den Juden« die Schuld zu geben. Sie sind die wahren Nazis; nicht Opa, und Oma schon gar nicht.
    Vor ein paar Tagen hatte ich ein interessantes Gespräch mit Giovanni di Lorenzo, dem Halb und Halb dieses Buches. Er wollte mich an eine große Veränderung erinnern, die in Deutschland stattfindet, die Erkenntnis, daß es ein Einwanderungsland ist. Nun ist dabei natürlich die Frage, wer die Immigranten sind. Einige von ihnen habe ich kennengelernt und im vorliegenden Buch erwähnt, und sie sind so antisemitisch wie nur irgendein deutscher Deutscher. Es gibt andere, die ichnicht erwähnt habe, wie jenen Studenten in Hamburg, der mir mit seinem Glas Cola auf das Andenken meiner Familie zuprostete, »die bald sterben wird, so Allah will«. Das war kein Witz.
    Doch ist es angebracht, in diesem Zusammenhang zur Vorsicht zu mahnen: Zwischen dem deutschen Antisemitismus und dem islamischen Antisemitismus, ob in Gaza oder in Duisburg, liegen Welten. Ich habe mich mit den Türken in Marxloh trotz ihres Antisemitismus blendend verstanden. So unterschiedlich wir auch dachten, so schätzten wir doch gegenseitig unsere Gesellschaft sehr. Ich halte sie für rassistisch, sie halten mich für rassistisch, aber wir fühlten uns absolut wohl miteinander. Wir sind beide »Rassisten«, und wir essen und lachen zusammen bis in die frühen Morgenstunden und amüsieren uns großartig. Mit den Deutschen geht das nicht. Kinder spielen nicht mit »schlechten« Menschen. Der islamische Antisemitismus wurzelt in der Politik oder in der Religion, der deutsche Antisemitismus gründet tiefer.
    Es wird viel leichter sein, Frieden zwischen Israelis und Palästinensern und zwischen Arabern und Juden zu schließen, als den Judenhaß des Deutschen auszumerzen. Die ersten beiden Antisemitismen liegen offen zutage, Überraschungen sind da keine zu erwarten; der dritte hüllt sich in geistreiche, komplizierte Argumente und zauberbunte Inszenierungen, die das Auge blenden, ganz abgesehen davon, daß er sich hinter den tausend Masken verbirgt, die für unsere heutige westliche Welt so bezeichnend sind.
    Verallgemeinere ich? Ja, tue ich. Tut mir leid, aber das ist es, was ich gesehen habe.
    »Ihr Amerikaner verallgemeinert immer alles!«
    Während mir diese Gedanken durch den Kopf gehen, habe nur noch ein Gefühl in mir: Mir ist zum Weinen zumute. DerTraum, den ich einmal hatte, mir nämlich ein kleines Haus in Berlin zu kaufen, ist ausgeträumt. Ich glaube nicht, daß ich das jemals tun werde, jedenfalls nicht in diesem Leben.

    Deutschland wird kleiner und kleiner, je näher ich Dänemark komme. Ich sehe es von weitem und stelle es mir als einen Teekessel vor.
    Die Zeit verstreicht, das Schiff tuckert vor sich hin, und dann ist Deutschland verschwunden. Ich gehe in Dänemark von Bord, einem Land, das einen ruhigen Eindruck auf mich macht. Es könnte, aus der Entfernung betrachtet, ebenfalls ein Teekessel sein, aber keiner, der am Kochen ist. In Dänemark, scheint es, ist der Tee schon fertig, und die Leute sind entspannt und trinken ihn. Werde ich mich hier langweilen?
    Es dauert keine Stunde, und ich vermisse Deutschland, den kochenden Teekessel, der womöglich nie abkühlt.
    Ich
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