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Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Titel: Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
Autoren: Tuvia Tenenbom
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real. Häuser, Kirchen, Gras, Wasser, Menschen: alles »real«.
    Einfach unglaublich!
    Das ist Dresden. Das ist Deutschland. Das Land der Meister, der visuellen Meister. Genies. Und wenn Sie das erleben, werden Sie Gott dafür danken, daß es Deutschland gibt.
    Jetzt kann ich endlich guten Gewissens nach Görlitz fahren.
    Sind Sie je in Görlitz gewesen? Was für ein hinreißender kleiner Ort!
    Görlitz, eine schöne deutsche Stadt an der Lausitzer Neiße gegenüber der polnischen Stadt Zgorzelec.
    Beide Städte waren einmal eine, nämlich Görlitz, doch hat der Krieg sie getrennt.
    Die Ortsansässigen erzählen, daß die Deutschen auf der anderen Seite des Flusses 1945 zur Flucht gezwungen wurden und so Platz für die Polen machten, die vorher aus ihren Häusern an der ukrainischen Grenze geflüchtet waren. Es gibt also zweierlei Flüchtlinge hier. Als aber die verschiedenen Nationen 1990 der deutschen Wiedervereinigung zustimmten (»Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland«), legten sie fest, daß alle deutschen Ansprüche auf ehemalige Gebiete zu erlöschen hätten. Pech gehabt.
    Das Gute daran ist, daß sich die Menschen dazu entschlossen, nicht für immer Flüchtlinge zu bleiben und sich bis in alle Ewigkeit in ihrem Unglück einzurichten. Im Gegenteil: Sie taten alles, was in ihrer Macht stand, um es im Leben zu etwas zu bringen. Und wie auch immer die deutsche Grenze am Ende aussehen würde, sie leisteten ihren Teil, um wiederaufzubauen, was ihnen geblieben war.
    Görlitz, das die alliierten Bombardements fast unbeschadet überstanden hatte, wurde in der DDR-Zeit dem Verfall überlassen. Nach dem Fall der Mauer dachten manche, daß man die meisten Gebäude in der Stadt würde abreißen müssen. Doch die Bewohner der Stadt entschieden sich statt dessen für Instandsetzung und Wiederaufbau. Wahrlich eine weise Entscheidung. Heute durch die Straßen von Görlitz zu schlendern, erfreut Auge und Geist. Die Stadt ist einfach wunderschön. Und sehr geschichtsträchtig.
    Da wäre zum Beispiel das Heilige Grab. Ja, das von Jesus. Echt. Minsterpräsident Tillich hatte recht. Wie kommt Jesus hierher? Das ist eine nette Geschichte: Vor langer Zeit, im 15. Jahrhundert, hatte der Bürgermeister der Stadt eine heiße Affäre mit einer verheirateten Frau. Hinterher aber packte ihndie Reue. Man weiß nicht genau, warum. Es gab damals noch kein Google, kein YouTube, kein iPad und kein Facebook. Er bereute es und ging nach Jerusalem, um das Heilige Grab zu besuchen. Wie er von einer heißen Liebe zu einem kalten Grab fand, liegt nach wie vor im dunkeln. Aber so war es. Und auch noch heute, während wir uns unterhalten, werden alle möglichen seltsamen Geschichten in Jerusalem angesiedelt, einer Stadt engelsgleicher Messiasse und fliegender Boten. Wie dem auch sei, unser deutscher Bürgermeister beließ es nicht bei dem Besuch, sondern fertigte Abmessungen des Heiligen Grabes an. Er nahm sie mit nach Hause und ließ hier eine Kopie von ihm errichten.

    Ja. Und für einen Euro und 50 Cent können Sie es besichtigen. Ein Flug nach Israel kommt Sie teurer. Aber schauen Sie, was es hier sonst noch gibt: Adams Grab nämlich. Ja, wirklich, der aus der Bibel. Der erste Mensch. Woher ich das weiß? Es steht in der Broschüre, die man mir am Eingang zum Heiligen Grab in die Hand gedrückt hat.
    Jesus, teile ich Ihnen hiermit voller Freude mit, ist nicht hier. Er ist auferstanden. Das ist schon der ganze Trick. Was noch? Die Aufseher hier sagen, daß dieses Heilige Grab dem Original mehr entspricht als das heutige in Jerusalem. Jenes nämlich, informiert man Sie beim Betreten dieser heiligen Stätte, ist seinerseits eine Rekonstruktion des Originals, das vor einigen Jahrhunderten in Brand gesteckt wurde.
    Verstehen Sie mich nicht falsch. All das bedeutet, daß das vor 500 Jahren errichtete Heilige Grab in Görlitz ›originalgetreuer‹ ist als das in Jerusalem.
    Ich frage mich, was aus jener Frau wurde, dem Objekt der bürgermeisterlichen Begierde, und ob jemand ein Bild von ihr hat. Sie muß verdammt sexy gewesen sein.
    Was mich heute am meisten an Görlitz fasziniert, ist, daß es das Ende eines Landes und einer Kultur und der Anfang einer anderen ist. Einer völlig anderen. Der polnischen nämlich. Ein Wort zur Warnung in diesem Zusammenhang: Wenn Sie die Brücke nach Polen überqueren, versuchen Sie, die Graffiti auf der deutschen Seite zu ignorieren. Ignorieren Sie das »Sieg Heil« neben dem Hakenkreuz
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