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Eskandar: Roman (German Edition)

Eskandar: Roman (German Edition)

Titel: Eskandar: Roman (German Edition)
Autoren: Siba Shakib
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1908, ein kleines Dorf ohne Namen im Süden des Iran
     
    Seit Neustem rennen die Kinder, die Dürre und Hunger übrig gelas sen haben, durch das kleine Dorf ohne Namen und rufen faack. Sie haben es von Eskandar gelernt, und der hat es von den Männern, die er gefunden hat, als er über den verbotenen Berg geklettert ist.
    Am nächsten Tag schickt der Arbab, der mächtige Besitzer von allen Dörfern, Feldern, Tieren und Menschen, seinen Mullah, um die Leibeigenen zu warnen.
    Der Geistliche weiß, wie er den Leuten Angst einjagen kann. Böse Geister, Jinn und Div, stehen im Dienst des Arbab, sagt er. Sie leben in den Ritzen der Felsen und in Höhlen. Dieses Mal haben sie den Jungen verschont, das nächste Mal aber werden sie ihn verschlingen, bestenfalls werden die Reiter des Arbab ihn fangen und auf den Boden pflocken, damit er in der sengenden Sonne verbrennt und die Geier ihn in Stücke rei ßen und auffressen.
    Eskandar verkriecht sich hinter seiner Mutter Sahra, und auch die Erwachsenen weichen einen Schritt zurück.
    Der Mullah grinst zufrieden. Die Männer hinter dem Berg sind Fremde, Farangi, erklärt er. Und weil die Bauern außer ihrem Dorf nichts kennen und es keinen Sinn hat, ihnen zu sagen, wo Farangestan liegt, sagt er, das ist so weit, dass ihr es euch nicht vorstellen könnt. Wir nennen sie auch Kafar, Ungläubige, jedenfalls ist es verboten, ihre Arbeit zu stören, und erst recht, ihnen etwas zu klauen.
    Der Junge behauptet, die Fremden haben Wasser, sagt der Dorfälteste. Und wir? Wir zweifeln nicht an Gott; sogar jetzt sind wir dem Arbab treu ergeben; wir haben unsere Arbeit getan, unsere Abgaben geleistet. Trotzdem sitzen wir auf dem Trockenen und sterben einer nach dem anderen.
    Das da oben ist die Kante des Todes, raunt der Mullah.
    Erklär uns lieber, warum wir kein Wasser haben, bedrängen die Leibeigenen den Akhund.
    Hast du mich verstanden?, knurrt der Akhund Eskandar an. Und hat dein Vater dir nicht beigebracht, ältere Menschen, zumal wenn sie im Dienste Gottes und des Arbab stehen, nicht so frech anzustarren?
    Eskandar bekommt so viel Angst, dass er sogar vergisst, dass es verboten ist, an ein bestimmtes Ereignis zu denken, geschweige denn, dass er darüber spricht. Mein Vater hat die meiste Zeit seines Lebens im Opiumrausch verbracht, rutscht es Eskandar heraus. Er zieht den Kopf ein und sagt kleinlaut, ich meine, ich habe so gut wie nichts von ihm gelernt.
    Opium? Wo hatte er denn das nun wieder her?, schimpft der Mullah.
    Eskandar spult seine Antwort hinunter, als würde er einen Spruch aus dem Koran aufsagen. Er hatte noch welches von früher, sagt Eskandar, und kurz nachdem er es verbraucht hat, ist er gestorben. Jetzt liegt er ohne Kaffan unter der Erde, und wir beten für seine sündige Seele.
    Der Mullah spuckt aus. Wie ist dein Name, du Unglückskind?
    Eskandar.
    Das soll ein Name sein? Verflucht sollen dieser Name und sein Träger sein. Dein nutzloser Vater hätte dir wie jeder gottesfürchtige Mensch den Namen des Propheten oder den eines der zwölf Emame geben sollen.
    Eskandar weiß nicht mehr, was er sagen soll, und starrt auf den Boden wie seine Mutter.
    Die Bauern nutzen das Schweigen. Wovon sollen wir leben?, rufen sie durcheinander. Warum hilft der Arbab uns nicht? Es trifft den Grundbesitzer doch selbst, wenn die Felder trocken bleiben, die Bäume keine Früchte tragen und sein Vieh und seine Leibeigenen sterben. Wir sind viele kräftige und hart arbeitende Menschen gewesen, jetzt ist nur noch ein kümmerlicher Rest von uns übrig.
    Es ist beschämend, schnaubt der Mullah und schüttelt den Kopf. Ich bin enttäuscht. Eure Dreistigkeit und euer Gejammer ekeln mich an, ruft er und wedelt so heftig mit dem Arm, dass ein Schwarm lästiger schwarzer Fliegen von den Rändern von Augen und Mündern der Leibeigenen auffliegt und auf die neue und wohlgenährte Beute aufmerksam wird. Sie fliegen brummend auf und stürzen sich gierig zuerst auf den Esel und dann auf den Mullah. Damit sie ihm nicht auch noch in den Mund fliegen, hält der Mullah sich den Zipfel seines Turbans vors Gesicht, und er schlägt wild nach den dicken, schwarzen Fliegen.
    Damit machst du es nur noch schlimmer, sagen die Leibeigenen. Sie werden wütend und beißen sich in deiner Haut fest.
    Plötzlich schreit der Esel, tritt und rennt los in die Richtung, aus der er gekommen ist. Ohne ein weiteres Wort läuft der Mullah ihm hinterher, steigt auf, und sie trippeln davon.
    Die Beine des Agha sind so lang, und
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