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Erinnerung Des Herzens

Erinnerung Des Herzens

Titel: Erinnerung Des Herzens
Autoren: Nora Roberts
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Prolog
    Irgendwie brachte sie es fertig, den Kopf oben zu behalten und die aufsteigende Übelkeit zu unterdrücken. Es war kein Alptraum, der beim Erwachen verschwinden würde. Allerdings spielte sich alles im Zeitlupentempo ab, genau wie im Traum. Sie kämpfte sich ihren Weg frei, und es war, als ob sie durch einen dichten Vorhang aus Wasser sehen müsste, auf deren anderer Seite sie all die Gesichter der Leute um sich herum sah. Sie hatten hungrige Augen, sie schlössen und öffneten den Mund. Als wollten sie sie verschlingen. Ihre Stimmen schwollen an und verebbten wie Wellen, die gegen Felsen schlugen. Ihr Herz schlug hart und schien manchmal auszusetzen.
    Vorwärts, vorwärts, befahl sie ihren zitternden Beinen, während eine feste Hand sie durch die Menge stieß, nach draußen, auf die Treppe des Gerichtsgebäudes. Das grelle Sonnenlicht trieb ihr Tränen in die Augen, und sie suchte nach ihrer Sonnenbrille. Man durfte nicht denken, dass sie weinte. Sie sollten keinerlei Schuldgefühle bei ihr feststellen. Das Schweigen war ihr einziger Schutz.
    Sie stolperte und durchlebte einen Augenblick panischer Angst. Nur nicht hinfallen. Sollte sie hinfallen, würde die Meute neugieriger Reporter sich auf sie stürzen, wie wilde Hunde auf ein armes Kaninchen. Sie musste aufrecht stehen, schweigen und überlegen. Das hatte Eve ihr beigebracht.
    Zeig ihnen nie deine Gefühle, Mädchen.
    Eve. Sie hätte schreien können; die Hände vors Gesichts schlagen und schreien. Schreien, all ihre Wut, ihre Angst und ihren Kummer einfach hinausschreien.
    Fragen stürmten auf sie ein. Mikrophone wurden ihr vors Gesicht gestoßen wie tödliche kleine Pfeile. Begierig verfolgten die Reporter das Ende des Mordprozesses gegen Julia Summers.
    »Hexe!«, rief einer. Seine Stimme klang schrill vor Haß. »Kaltblütige Hexe!«
    Sie wäre gern stehengeblieben und hätte zurückgerufen: »Woher wollen Sie wissen, wie ich bin? Woher wollen Sie wissen, was ich fühle oder nicht fühle?«
    Aber die Tür der Limousine stand offen. Sie stieg in die Geborgenheit gekühlter Luft und dunkler Glasscheiben ein. Die Menge drängte dagegen. Zornige Gesichter blickten auf sie herab wie Geier auf einen noch blutenden Leichnam. Als der Wagen abfuhr, schaute sie starr nach vorn. Die Hände hatte sie im Schoß verschlungen, ihre Augen waren zum Glück trocken geblieben.
    Sie sagte nichts, als ihr Begleiter ihr einen Drink reichte. Einen Brandy, zwei Finger hoch. Als sie den ersten Schluck genommen hatte, fragte er ruhig, fast beiläufig, mit der sanften, dunklen Stimme, die sie so geliebt hatte: »Nun, Julia, hast du sie umgebracht?«

1

    Sie war eine Legende. Ein Produkt ihrer Zeit, ihres Talentes und ihres gewaltigen Ehrgeizes. Eve Benedict. Männer, die dreißig Jahre jünger waren, bewunderten sie. Frauen beneideten sie. Regisseure umwarben sie, denn sie wussten nur zu gut, dass ihr Name Gold wert war in diesen Zeiten, wo Filme anscheinend von Buchhaltern gemacht wurden. In den fast fünfzig Jahren ihrer Karriere hatte sie Höhen und Tiefen erlebt. Beides war notwendig gewesen, damit sie zu dem werden konnte, was sie werden wollte.
    Sie tat, was sie wollte, im Privatleben und im Beruf. Wenn eine Rolle sie interessierte, jagte sie ihr ebenso atemlos und wildentschlossen nach wie ihrer allerersten Rolle.
    Wenn sie einen Mann begehrte, schnappte sie ihn sich und trennte sich wieder von ihm, wenn sie genug hatte - aber niemals im Bösen, womit sie gern prahlte. Alle ihre ehemaligen Liebhaber, und derer gab es viele, waren ihre Freunde geblieben. Oder sie besaßen doch wenigstens soviel Vernunft, den Anschein dessen zu wahren. Mit ihren 67 Jahren besaß Eve immer noch einen prachtvollen Körper. Ihre eiserne Energie und die chirurgische Kunst hatten ihr dabei geholfen. Über fünfzig Jahre lang hatte sie hart an sich gearbeitet, bis sie praktisch unangreifbar geworden war. Aus ihren Triumphen hatte sie ebenso gelernt wie aus ihren Enttäuschungen. Heute wurde sie im Königreich Hollywood ebenso gefürchtet wie respektiert.
    Sie war eine Göttin gewesen. Jetzt war sie eine Königin mit wachem Verstand und einer spitzen Zunge. Wenige nur kannten ihr Herz, niemand ihre Geheimnisse.
    »Bockmist ist das.« Eve schleuderte das Drehbuch auf den Fliesenboden des Solariums und gab ihm einen Tritt. Sie ging würdevoll auf und ab, was ihre darunter pulsierende sinnliche Vitalität kaum kaschieren konnte. »Alles, was ich in den letzten zwei Monaten gelesen habe, war
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