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Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Titel: Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
Autoren: Tuvia Tenenbom
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steckt da ein kleines Paradox drin, aber ich sage nichts. Dieser 1. Mai ist sein Tag, und den will ich ihm nicht verderben. Wir Jordanier sind freundliche Menschen.
    Ich schaue mich noch ein wenig um und inspiziere die paar Stände, die es hier gibt, weil ich von diesen geldhassenden Gewerkschaftsleuten gerne etwas umsonst bekäme, aber nein.
    Zeit für den Protestmarsch!
    Ein paar junge Leute, die ein Transparent mit der Aufschrift »Weg mit §§ 129a« tragen, halten sich bereit. Ich frage sie, worum es bei Paragraph 129a geht.
    Einige wissen es nicht so genau, während andere sagen, es »geht um die Gefangenen«.
    Ähm, was?
    »Halt um Freiheit.«
    Welche Freiheit?
    »Freiheit! Ist das so schwer zu verstehen?!«
    Da ich nicht will, daß alle sauer auf mich werden, halte ich den Mund. Ich bin ein wohlerzogener Jordanier.

    Der Marsch hat noch nicht begonnen. Das scheint noch etwas zu dauern.
    Ich habe es glücklicherweise nicht eilig.
    Das hier sind keine Gewerkschafter, das sind Jugendliche. Und diese Jugendlichen haben allem Anschein nach etwas Wichtiges mit mir gemeinsam: Auch sie haben Zeit. Jede Menge.
    Während sie sich auf ihren Marsch vorbereiten, schlagen sich die jungen Kapitalismusgegner die Mägen voll mit frischem Obstsalat, Eis, Crêpes, Würstchen und Bier. Einige von ihnen – bitte erwarten Sie von mir keine Erklärung – trinken Bier und kotzen es gleich wieder aus. Dann trinken sie weiter. Das Leben ist ein Kreislauf, vermute ich. Sie kaufen mehr Bier. Manche gleich mehrere Flaschen auf einmal. Warum auch nicht? Geld scheint hier nicht das Problem zu sein.
    Sie trinken und trinken, und ab und zu essen sie was. Sonst tut sich nichts.
    Das hier sind die Linksradikalen, sagte man mir. Es wäreinteressant zu erfahren, was die Rechtsradikalen heute so treiben. Kaufen die weniger Bier? Mehr? Essen die grünen Salat statt Obstsalat? Wer weiß. Ich muß es herausfinden. Ich mache mir eine Notiz: Rechtsradikale treffen.
    Nach der Futterei bellt jemand aus einem sehr lauten Lautsprecher: »1. Mai!« Und die Menge bellt mit vollen Bäuchen zurück. Ehrlich gesagt, ich bin völlig verwirrt. Falls diese Leute hier zusammengekommen sind, um zu demonstrieren, kann ich nichts davon erkennen. Vielleicht hat man mich falsch informiert. Das hier ist kein Demonstrationszug, das ist eine Party. Ja, so muß es sein.
    Als wollten sie meine Überlegungen bestätigen, fangen plötzlich junge Deutsche in schwarzen Klamotten mit roten Fahnen in der Hand einen Rap an. Beziehungsweise so etwas ähnliches. Wenn man aus New York kommt und das Original aus den Clubs oder U-Bahn-Stationen kennt, merkt man sofort, daß das hier kein Rap ist. Nur junge Deutsche, die versuchen, einen auf schwarz zu machen. Andererseits ist es ja nur ein Partyspaß. Wen also juckt es?
    Offensichtlich angeregt von dem Sound, beginnen andere junge Leute zu johlen: Revolution!
    Ist das auch ein Song? Wer weiß!
    Da warten noch andere Akteure, fällt mir auf, während ich als bislang einziger Marschierer herumlaufe. Die Polizei. Upps! Ich habe mich anscheinend geirrt. Dies ist doch eine Demonstration.
    Die Polizisten bereiten sich vor, spazieren entspannt in der Gegend herum, Helme in den Händen. Rechnen Sie mit Ärger? frage ich einen von ihnen.
    »Ich hoffe nicht, daß es Ärger gibt«, antwortet er auf englisch. Gut.
    Es wird weiter gerappt und Bier getrunken. Allmählich bildet sich endlich so etwas wie ein Demonstrationszug. Ich marschiere mit. Slogans fliegen hin und her, die der internationalen Solidarität gelten, dem Frieden, der Liebe, der Revolution, dem Antikapitalismus, der Gleichheit, der Gerechtigkeit und anderen großen Worten. Einige haben sich sogar Slogans an die Klamotten geheftet: DIE STADT GEHÖRT UNS. Ein junger Mann klebt eine weitere Parole an einen Strommast. Worum geht es da? frage ich ihn.
    »Alkohol und Limonade«, verkündet er stolz.
    Würden Sie das bitte wiederholen?
    »Alkohol und Limonade. Gemischt.«
    So. Und das ist der Grund, warum Sie hier demonstrieren?
    »Ja.«
    Können Sie mir das erklären?
    »Das sollte erlaubt sein.«
    Ist es denn verboten?
    Im Laufe dieses Wortwechsels schaltet sich ein Mitdemonstrant ein. »Es geht um die Brutalität der Polizei«, sagt er.
    Nicht um Limonade?
    »Nein! Das mit der Limonade und dem Alkohol«, erklärt er, »ist bloß ein Wortspiel. Hat aber mit Limonade in Wirklichkeit nichts zu tun. Niemand ist hier wegen Limonade auf der Straße. Echt nicht!«
    Hier geht es also um
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