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Die Terranauten TB 15 - Im 176. Jahr

Die Terranauten TB 15 - Im 176. Jahr

Titel: Die Terranauten TB 15 - Im 176. Jahr
Autoren: Andreas Weiler
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    Sie hatten die Nacht in der Starre verbracht, die Träume schuf. Mit den ersten an den Felswänden entlangwehenden Morgenwinden begannen sich die Schattenleguane unruhig zu bewegen und mit ihren breiten Klebzungen Radiolarien aus den Luftströmen zu fischen.
    Tairit streckte sich und lehnte sich im Sattel vor, in dem er geschlafen hatte.
    »Freust du dich?« murmelte er seinem Leguan zu. »Ja, du freust dich. Bestimmt genauso wie ich.«
    Der Mulcalin blickte sich um.
    Die anderen Gefährten der Wallfahrt-Karawane kamen nun ebenfalls zu sich. Worte wurden gewechselt, Wünsche ausgetauscht. Einige Irrlichter schwebten vorbei, Boten eines neuen Tages. Für Tairit war es der Tag, und er war entsprechend aufgeregt.
    »Komm«, sagte eine Stimme an der Seite seines Leguans. »Noch ist es nicht so weit. Wir haben Zeit, und es schadet, wenn man zu ungeduldig ist.«
    Tairit drehte sich um. Es war Mairal, seine Unterweiserin. »Verzeih«, flüsterte er, und sein Atem kondensierte in der Kühle. Er wehte davon, mitgezerrt von den Fallwinden des Morgens, ein weißgrauer Hauch. Er stieg ab. Die Klebzunge des Leguans tanzte ein paar Sekunden lang vor seinem Gesicht, und Tairit legte seine Hand auf das spitze Maul des Schattenleguans.
    Tairit legte den Kopf in den Nacken. Das Tal war nicht sonderlich breit, drei oder vier Dutzend Meter. Rechts und links stiegen die Felswände auf, braun und grau und schwarz. Die Säulen der Welt, fest und ewig, unzerstörbar. Die Morgenwinde strichen wie mit sanften Händen über den Granit und sangen und flüsterten auf Vorsprüngen und in winzigen Spalten und Rissen. Weit oben schienen die beiden Wände aufeinander zuzustreben, und nur ein schmales Band aus milchiger Helligkeit trennte sie voneinander. Tairit schauderte, als er an die Oberwelt dachte. Dort oben, so erzählten die Preten, war die Luft so dünn, daß man sie nicht mehr atmen konnte. Dort oben, so sagten sie, war es heiß und kalt zugleich. Die Hitze verbrannte einen ungeschützten Körper. Und die Kälte ließ das Blut gefrieren. Dort oben gab es kein Leben. Nur Einöde und stummen Fels.
    Tairit drehte sich um.
    Weiter voraus wurde das Terrain flacher. Ein roter Hauch lag über dem Land. Bald würde Mualt, das Rote Riesenauge, über den Horizont steigen, gefolgt von Shenth, dem Grünen Irrlicht.
    »Ein guter Tag für die Weihe«, sagte Mairal. Sie war eine alte und erfahrene Frau. Manchmal schien ihr Gesicht so hart wie der Fels Haydraths, dann wieder so weich wie die Flaumpilze im Hohen Land. Ihre Wangen waren von Faltentälern durchzogen, ihre Augen längst trüb von den vielen Jahren und all dem, was sie gesehen hatte. »Sieh nur.« Sie deutete empor. Die Staubseen weit oben in den Ausläufern der Atmosphäre, getragen von den Immerwährenden Winden, begannen purpurn und silbern zu glühen. Tairit lächelte. Ja, es war ein guter Tag.
    Mairal küßte ihn, und Tairit genoß ihre Zärtlichkeit. Er war noch ein Junge, aber heute würde er zum Mann werden, und das bedeutete auch, daß seine Unterweisungen damit ein Ende fanden. Er würde die Zärtlichkeiten Mairals vermissen, aber er würde neue Erotikpartnerinnen finden. Er dachte an Xala und blickte sich um. Für einen Augenblick trafen sich ihre Augen. Sie war so jung wie er: schlank, mit großen, silberfarbenen Augen, weichen Wangen, die die Farbe von gutem Lehm hatten. Ihr Mantel war so schwarz wie die Sternenlose Nacht. Auf der Stirn trug sie wie er das tan- Zeichen. Die Preten-Interpretation bedeutete: jung wie der Morgen, kräftig wie die Kühlen Winde.
    Sie sah zur Seite. Noch war es nicht soweit. Tairit seufzte unhörbar, trat von seinem Leguan fort, der sich weiter an den von den Winden dahergewirbelten Radiolarien gütlich tat und ging zum Feuer, das der Preten-Obmann mit Hilfe des schimmernden Namenssteins entzündet hatte. Es war wie die Ewige Flamme, die auch in Tairits Dorf, weit im Hohen Land, züngelte. Sie wuchs aus einem Granitopal, den der Prete am Tag zuvor gesucht und gefunden hatte. Sie spendete Wärme und vertrieb die letzten Reste der Nachtstarre.
    Schweigend nahmen sie eine knappe Mahlzeit zu sich. Dörrfleisch von erlegten Staubseglern. Schmackhafte Wurzeln, von Preten geerntet. Dazu den Nektar von Flaumpilzen.
    Die Schattenleguane zischten und knurrten und brummten. Schließlich erhob sich der Preten-Obmann. Es war ein uralter Mann, jedenfalls für die Begriffe Tairits. Schlank, fast dürr, das Gesicht schmal, die Augen groß, der Blick unauslotbar
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