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Frag die Karten

Frag die Karten

Titel: Frag die Karten
Autoren: Marcia Muller
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Kapitel
1
     
    Ich fuhr um den Block in meinem lauten
alten MG, mit wachen Sinnen und sofort zu reagieren bereit. Nichts.
    Ein weiterer Block, dann ein dritter.
Meine Frustration vertiefte sich. Ich hätte alles in der Welt gegeben — für
einen Parkplatz!
    Mit krachend protestierendem Getriebe
ruckte der Wagen rückwärts hinein in die Lücke. Endlich, nach fünf Überstunden
und fünfundzwanzig Minuten Suche nach dieser Lücke, konnte ich die viereinhalb
Blocks durch die Dunkelheit zurück zu meiner Wohnung wandern.
    Immerhin, keine schlechte Nacht für
einen Spaziergang. Das Wetter in San Francisco war im April normalerweise
unberechenbar, aber in diesem Jahr verwöhnte es mit sonnigen Tagen und milden
Abenden. Ich schlenderte auf die Guerrero Street zu, und die leichte Brise
kühlte meinen Unmut.
    Als ich um die Ecke bog, sah ich die
roten Lichter pulsieren; der Rhythmus brachte die Dunkelheit zum Flackern. Ich
blieb außerhalb ihrer Reichweite stehen. Polizeiwagen. Neugierige. Vor meinem
Haus. Panik bemächtigte sich meiner, und ich begann zu rennen.
    Linnea! schoß es mir durch den Kopf.
Linnea. Ich hätte sie nicht so lange allein lassen dürfen. Sie sprach so oft
von Selbstmord... viel zu oft... Seit ihrer Scheidung... Der viele Alkohol...
Weiß Gott, was für Medikamente... Meine beste Freundin! Kommt, um mir zu
helfen... Und ich lasse sie allein... In meiner Wohnung... Und sie trinkt...
Tag für Tag.
    Die Neugierigen bilden eine
undurchdringliche Mauer. Ich dränge mich hindurch, schaffe es endlich.
    »He, Lady, drängeln Sie doch nicht so!«
    »Was ist denn passiert? Was ist denn da
drin passiert?«
    »Jemand tot.«
    »Eine Leiche.«
    »O mein Gott!«
    »He, schubsen Sie doch nicht so.«
    Ein junger Polizeibeamter in Uniform
stellte sich mir mit abweisender Miene in den Weg. »Tut mir leid, Ma’am. Sie
können nickt hinein.«
    Ich wollte seitlich ausweichen, aber er
ließ mich nicht vorbei.
    »Tut mir leid, Ma’am«, wiederholte er.
    »Ich wohne hier, verdammt!«
    Der Polizeibeamte zögerte, war
unschlüssig. Ich lief die Treppen hinauf in die Vorhalle. Die Hausbewohner
standen aufgeschreckt herum, und zwei weitere Polizeibeamte hielten sie vor der
Treppe zurück. Ängstlich warf ich einen Blick auf meine Wohnungstür im
Parterre, auf der Rückseite des Hauses. Sie war geschlossen, und kein Licht
fiel durch die Milchglasscheibe.
    Vorne, an dem Tisch in der Nähe der
Treppe, hing drohend eine wuchtige Gestalt. Tim O’Riley, der Hausmeister. Im
schwachen Licht der Deckenleuchte in der Vorhalle wirkte Tims sonst stets
gerötetes Gesicht aschfahl, und sein Mund stand halb offen. Seine wulstigen
Finger, ein ungewohnter Anblick ohne die sonst obligate Bierdose, spielten
nervös mit dem Stapel von Werbeschriften und Wurfsendungen auf dem Tisch.
    Ich legte meine Hand auf seinen Arm.
    »Tim, was ist hier los?«
    Er schrak zusammen. »Oh, Sie sind es.
Mein Gott, Sharon, es ist etwas Furchtbares passiert.«
    »Ich weiß. Jemand ist tot. Wer?«
    »Mrs. Antonio.« Sein etwas aufgedunsenes
Gesicht verzerrte sich vor Kummer.
    Also war meiner Freundin nichts
geschehen! Und es handelte sich offenbar um einen natürlichen Todesfall. Molly
Antonio, eine der Mieterinnen im ersten Stock, war Mitte sechzig und litt schon
seit längerer Zeit unter Herzbeschwerden. »Ein Herzanfall, wie?«
    Tim schüttelte den Kopf und strich sich
mit der Hand über die blutunterlaufenen Augen. »Schlimmer. Viel schlimmer.
Jemand hat sie umgebracht.«
    »Großer Gott!« Ich wirbelte herum und
stieß dabei fast mit einem der Beamten zusammen. »Wer leitet den Einsatz?«
fragte ich ihn.
    Er starrte mich beinahe teilnahmslos
an. Alter und gereifter als der erste Beamte, dachte er nicht daran, sich von
einer neugierigen Frau belästigen zu lassen. »Um die Mieter kümmern wir uns
später.«
    »Großartig.« Ich wandte mich wieder an
Tim und senkte meine Stimme, als ich ihn fragte: »Haben Sie Linnea gesehen?«
    »Seit ein paar Stunden nicht mehr.« Er
schaute auf seine Armbanduhr. »Als ich sie zuletzt sah, hat sie eine große
Weinflasche in Ihre Wohnung geschleppt. Das war ungefähr um fünf. Dann hat sie
die Stereoanlage sehr laut aufgedreht — Sie wissen ja, daß sie das öfters tut —
, aber seit ungefähr einer Stunde ist es still. Vermutlich ist sie inzwischen
betrunken.«
    »Gott sei Dank.« .
    Tim schaute mich schockiert an. Ich
mußte zugeben, daß es eine merkwürdige Reaktion war angesichts der Tatsache,
daß sich meine Freundin
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