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316 - Die Pest in Venedig

316 - Die Pest in Venedig

Titel: 316 - Die Pest in Venedig
Autoren: Michelle Stern
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Savi unseres hochverehrten Dogen Andrea Dandolo, also sein persönlicher Berater.« Er wies auf das am Boden liegende Fischernetz. »Kannst du mir verraten, was dich in diese miserable Lage gebracht hat?«
    »Schlechtes Timing.« Xij biss sich auf die Lippen, als sie sein verständnisloses Gesicht sah. Sie musste sich schon ein wenig gewählter ausdrücken, wenn sie nicht im Staatsgefängnis landen wollte. »Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort, Savi«, ergänzte sie mit einem Lächeln, von dem sie wusste, dass es auf Männer reizend und unschuldig wirkte.
    »Trägt man solche Mode in Paris, Signorina Hamlet?«, fragte der Berater des Dogen mit hochgezogener Augenbraue. Sein Gesicht zeigte Unverständnis.
    »Ich würde mich gern neu einkleiden.« Xij versuchte lieber nicht, die Frage zu beantworten. Was auch immer derzeit die Mode in Paris war, Tank-Tops und Armeehosen gehörten sicher nicht dazu, und auch nicht die grün-rote Thermojacke, die Matt ihr überlassen hatte. »Ich weiß, es ist viel verlangt, aber könntet Ihr mich zum Haus meiner Familie bringen? Es liegt am Canal Grande.«
    »Warst du denn ganz allein auf den Plätzen unterwegs? Das schickt sich nicht.«
    Xij schluckte. Sie musste aufpassen, was sie sagte. Jedes Wort konnte sie dem Kerker näher bringen. »Ich hatte zwei Begleiter zu meinem Schutz, aber als die Menge durch das Erdbeben rasend wurde, mussten sie fliehen. Ich hoffe sie bald wiederzutreffen.«
    Angelo da Bellini legte den Kopf schief. In seine Augen trat ein lauernder Ausdruck. Xij erkannte plötzlich, was sie an seinem Gesicht irritiert hatte: Seine Iris schimmerte blau wie die Lagune. Die meisten Venezianer hatten dunkle Augen. »Was hast du denn getan, um die Menge derart gegen dich aufzubringen, Signorina Hamlet?« Er klang, als wollte er auf etwas Bestimmtes hinaus.
    Xij hob stolz den Kopf. »Ich verbitte mir diesen Ton, Savi. Schuld ist allein der Aberglaube des Pöbels und dieses Erdbeben, das für sie ein Zeichen des Teufels darstellte. Ich stamme aus einer sehr alten Familie dieser Stadt, auch wenn meine Mutter nach Dutschelant verheiratet wurde. Auch ich habe mir den Empfang in Venetia anders vorgestellt.«
    Er lächelte. »Reden tust du jedenfalls, als würde das stimmen, Signorina Hamlet. Komm mit, ich geleite dich zur Gondel. Hoffen wir, dass deinen Begleitern nichts geschah.«
    Das hoffte Xij von ganzem Herzen. Aber musste sie sich zu viele Sorgen machen? Grao’sil’aana hatte als Gestaltwandler besondere Fähigkeiten. Wenn er Matt nicht im Stich ließ, würden die beiden einen Weg finden, zu entkommen.
    Sie nahm den dargebotenen Arm des Savi mit Verwunderung an. Anscheinend hatte sie ihn tief beeindruckt, sonst würde er ihr diese Geste nicht zugestehen. An seiner Seite ging sie über den Platz, hin zu einer prachtvollen Gondel. Er half ihr beim Einsteigen. Seine Blicke machten Xij misstrauisch. Erhoffte er sich für ihre Rettung einen gewissen Gegendienst?
    Angelo da Bellini lehnte sich auf dem Sitz in der Gondel zurück und lächelte sie an. Da er fast nur lächelte, erschien Xij sein Gesichtsausdruck wie eine der vielen Masken, für die Venedig berühmt werden würde. Es fiel ihr schwer, in seinen Zügen zu lesen. »Nun, Signorina Hamlet. Mit welchem Schiff hast du angelegt?«
    »Ich...« Xij atmete schneller. Es gab nur einen sicheren Weg, seinen Fragen zu entkommen und den hatte sie schon lange nicht mehr nutzen müssen. Sie griff sich an die Brust, verdrehte die Augen und täuschte schwer atmend einen Ohnmachtsanfall vor. Angelo da Bellini fing sie, ehe sie auf dem Boden aufschlug. »Entschuldigt«, murmelte sie. »Ich fühle mich... schwach. Könnten wir später reden?«
    Da Bellini nickte gönnerhaft. »Natürlich, mein Kind. Es geschieht oft, dass der Mensch erst wirklich realisiert, sich in großer Gefahr befunden zu haben, nachdem die Gefahr vorüber ist. Vielleicht sollten wir dich einem Arzt vorstellen.«
    »Nein, nein«, sagte Xij rasch. Je eher sie allein war, desto eher konnte sie Matt und Grao’sil’aana suchen. »Wir sind gleich da. Meine Familie wird sich um mich kümmern. Es sind nur noch drei Treppen.«
    Sie erreichten die Anlagestelle eines Zweithauses der Familie Totti. Xij stutzte. Sie hatte das Casa anders in Erinnerung. Das vierstöckige Haus wies weit weniger Verzierungen in den Bogenfenstern auf, besaß dafür aber einen Wasserspeier auf dem Dach, den sie noch nie gesehen hatte. Sie kannte natürlich den geflügelten Markus-Löwen, das
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