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09 - Denn sie betrügt man nicht

09 - Denn sie betrügt man nicht

Titel: 09 - Denn sie betrügt man nicht
Autoren: Elizabeth George
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sie sagte: »Muni war nicht hier. Er war nicht im Haus. Und -« Sie zögerte. Ihr Gesicht war verzweifelt, da ihr vielleicht die gravierende Bedeutung dessen, was sie zu sagen im Begriff war, aufging, und sie erkannte, daß ihre Worte das Leben zweier unschuldiger kleiner Jungen verwüsten würden. »Und du warst auch nicht hier, Yumn. Du warst auch nicht im Haus.«
    »Doch!« schrie Yumn. »Wie kannst du es wagen, so etwas zu behaupten? Was denkst du dir eigentlich, du dummes Ding?«
    »Anas hatte einen seiner Alpträume«, sagte Sahlah. »Ich bin zu ihm hineingegangen. Er hat geschrien, und Bishr hatte auch angefangen zu weinen. Ich dachte: Wo ist denn Yumn? Warum geht sie nicht zu ihnen? Wie kann sie so fest schlafen, daß sie diesen Lärm im Zimmer direkt nebenan nicht hört? Ich dachte in dem Moment sogar, du wärst vielleicht einfach zu faul aufzustehen. Aber wenn es um die Jungen geht, bist du nie faul. Da ist dir nichts zuviel.«
    »Eine Unverschämtheit!« Yumn sprang auf. »Sag sofort, daß ich hier war! Ich bin die Frau deines Bruders. Ich befehle es dir. Du bist mir Gehorsam schuldig.«
    Da hatten sie es, dachte Barbara. Da hatten sie das Motiv. Tief in den Traditionen einer Kultur verwurzelt, über die sie so wenig wußte, daß sie es nicht erkannt hatte. Aber jetzt sah sie es. Es hatte diese Frau, die nichts als eine stattliche Mitgift und ihre Fähigkeit, Kinder in die Welt zu setzen, vorzuweisen hatte, um sich ihrer Schwiegerfamilie zu empfehlen, zu einem Akt der Verzweiflung getrieben. Sie sagte: »Aber Sahlah hätte nicht länger gehorchen müssen, nicht wahr, wenn sie Querashi geheiratet hätte? Nur Sie hätten dann noch gehorchen müssen, Yumn. Sie hätten Ihrem Mann gehorchen müssen, Ihrer Schwiegermutter, einfach jedem - früher oder später auch Ihren Söhnen.«
    Yumn war nicht bereit, klein beizugeben. Sie sagte »Sus« zu Wardah, »Abhy« zu Akram und »Die Mutter eurer Enkel« zu beiden.
    Akrams Gesicht verschloß sich, und Barbara sah mit Erschütterung, daß in diesem Moment Yumn aufgehört hatte, für ihren Schwiegervater zu existieren.
    Wardah griff zu ihrer Stickerei. Sahlah beugte sich vor. Sie schlug das Fotoalbum auf. Sie schnitt Yumns Bild aus der ersten der Fotografien heraus. Niemand sprach, als es, aus der Gruppenaufnahme der Familie herausgelöst, auf den Teppich zu Sahlahs Füßen flatterte.
    »Ich bin ...« Yumn rang keuchend um Worte. »Die Mutter ...«
    Sie stockte. Sie sah sie alle an, einen nach dem anderen. Aber niemand erwiderte ihren Blick. »Die Söhne Muhannads«, sagte sie verzweifelt. »Ihr werdet mir alle zuhören. Ihr werdet tun, was ich sage.«
    Emily richtete sich auf. Sie ging durch das Zimmer und nahm Yumn beim Arm. »Sie werden sich etwas anziehen müssen«, sagte sie.
    Yumn warf einen Blick über ihre Schulter, als Emily sie zur Tür führte. »Hure«, sagte sie zu Sahlah. »In deinem Zimmer. In deinem Bett. Ich habe dich gehört, Sahlah. Ich weiß, was du bist.«
    Barbara blickte mit angehaltenem Atem von Sahlah zu deren Eltern und wartete auf eine Reaktion. Doch sie sah den Gesichtern des Paares an, daß sie Yumns Beschuldigung nicht ernst nahmen. Yumn war schließlich eine Frau, die sie schon einmal getäuscht hatte. Sie würde nicht davor zurückschrecken, es wieder zu tun.

28
    Mitternacht war vorüber, als Barbara endlich ins Burnt House Hotel zurückkehrte. Sie fühlte sich wie durch die Mangel gedreht. Aber doch nicht so erledigt, daß sie nicht das wunderbare kleine Lüftchen bemerkte, das vom Meer her kam. Es streichelte ihre Wangen, als sie aus dem Mini stieg und bei dem Schmerz ihrer geschundenen Rippen zusammenzuckte. Einen Moment lang blieb sie auf dem Parkplatz stehen und atmete tief die Salzluft ein, in der Hoffnung, daß ihre stets gepriesenen wohltuenden Eigenschaften die Heilung ihres Körpers beschleunigen würden.
    Im silbernen Lichtschein einer der Straßenlampen konnte sie die ersten feinen Nebelfetzen erkennen, die - so lange sehnsüchtig erwartet - endlich der Küste entgegentrieben. Hallelujah, dachte sie beim Anblick der spinnwebfeinen Schwaden. Nie war ihr die Aussicht auf einen trüben, regnerischen englischen Sommer so willkommen gewesen.
    Sie warf sich ihre Umhängetasche über die Schulter und ging müde zur Hoteltür. Sie fühlte sich bedrückt, obwohl - oder vielleicht weil - sie diejenige war, die den Fall zu Ende gebracht hatte. Sie brauchte jedoch nicht lang nach einem Grund für ihre Bedrückung zu suchen. Er lag in
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