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09 - Denn sie betrügt man nicht

09 - Denn sie betrügt man nicht

Titel: 09 - Denn sie betrügt man nicht
Autoren: Elizabeth George
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denken, daß seine Ermordung nur Mittel zu einem Zweck gewesen sein könnte, den wir als westlich orientierte Menschen mit ganz anderen Sitten und Traditionen als die Pakistanis unmöglich verstehen konnten.«
    Emily schüttelte eigensinnig den Kopf. »Du produzierst nur einen Haufen Rauch ohne Feuer.«
    Sie waren auf der Fahrt durch das gediegene Mittelklasseviertel, das das alte Balford vom neuen trennte, die heruntergekommenen alten edwardianischen Häuser, die Agatha Shaw in neuem Glanz wiedererstehen lassen wollte, die gepflegten, von Bäumen beschatteten Villen, deren Architektur auf die Vergangenheit zurückgriff. Hier gab es nachempfundene Tudorhäuser, georgianische Jagdhäuser, viktorianische Sommerhäuser. Fassaden im Stil Palladios.
    »Nein«, entgegnete Barbara unbeirrt. »Schau dir doch nur uns an. Schau dir an, wie wir denken. Wir haben sie noch nicht einmal nach einem Alibi gefragt. Wir haben keine von ihnen nach einem Alibi gefragt. Und warum nicht? Weil sie pakistanische Frauen sind, Frauen, die sich unserer Meinung nach von ihren Männern beherrschen lassen und es ihnen überlassen, über ihr Schicksal zu entscheiden. Sie verhüllen gehorsam ihre Körper. Sie kochen und putzen. Sie dienern und katzbuckeln. Sie beklagen sich nie. Sie haben, so sehen wir es, kein eigenes Leben. Und keinen eigenen Willen. Aber was ist, wenn wir uns täuschen, Emily?«
    Emily bog nach rechts in die Second Avenue. Barbara zeigte ihr das Haus. Unten schienen alle Lichter zu brennen. Die Familie mußte inzwischen von Muhannads Flucht erfahren haben. Wenn sie es nicht von einem Stadtratsmitglied gehört hatten, dann von den Vertretern der Medien, die sie zweifellos mit Anrufen bombardiert hatten, um zu erfahren, wie die Familie Malik auf Muhannads Flucht reagierte.
    Emily parkte und musterte einen Moment lang das Haus, ohne etwas zu sagen. Dann sah sie Barbara an. »Wir haben nicht den kleinsten Beweis für deine Theorie. Wie willst du also vorgehen?«
    Ja, das war die Frage. Barbara überdachte sie in ihrer ganzen Tragweite, insbesondere im Licht von Emily Barlows Absicht, Muhannads Entkommen ihr - Barbara - anzulasten. So, wie sie es sah, hatte sie zwei Möglichkeiten. Sie konnte Emily abschießen, oder sie konnte ihre gemeinen Impulse und Absichten überwinden. Sie konnte Rache nehmen, oder sie konnte Verantwortung übernehmen; sie konnte es Emily Barlow mit gleicher Münze heimzahlen oder ihr das Mittel in die Hand geben, ihre Karriere zu retten. Sie hatte die Wahl.
    Natürlich hätte sie am liebsten ersteres getan. Sie lechzte danach. Aber die jahrelange Zusammenarbeit mit Inspector Lynley hatte sie gelehrt, daß man ein häßliches Spiel zu einem guten Ende bringen konnte, ohne sich hinterher etwas vorwerfen zu müssen.
    »Aus der Zusammenarbeit mit Lynley könnten Sie eine Menge lernen«, hatte Superintendent Webberly einmal gesagt.
    Wie zutreffend. Die Erfahrungen aus ihrer Zusammenarbeit mit Lynley lieferten ihr jetzt die Antwort auf Emilys Frage.
    »Wir tun genau das, was du eben gesagt hast, Emily. Wir produzieren einen Haufen Rauch. So lange, bis der Fuchs aus dem Bau kommt.«
    Emily ließ sich das durch den Kopf gehen. Dann nickte sie kurz und öffnete die Autotür.
    Akram Malik selbst öffnete auf ihr Klopfen. Er wirkte um Jahre gealtert, seit sie ihn in der Fabrik gesehen hatte. Er sah erst Barbara an, dann Emily. Er sagte tonlos: »Bitte. Sagen Sie es mir nicht, Inspector Barlow. Für mich ist er bereits tot.« Gerade die Tonlosigkeit seiner Stimme verriet seinen tiefen Schmerz.
    Barbara empfand großes Mitleid mit diesem Mann.
    »Ihr Sohn ist nicht tot, Mr. Malik«, antwortete Emily. »Deswegen sind wir nicht hier. Soviel ich weiß, befindet er sich auf dem Weg nach Deutschland. Wir werden versuchen, ihn zu fassen und ausliefern zu lassen. Wir werden ihn vor Gericht stellen, und er wird ins Gefängnis kommen. Aber wir sind nicht hier, um mit Ihnen über Ihren Sohn zu sprechen.«
    »Dann ...« Er fuhr sich über das Gesicht und besah seine schweißfeuchte Hand. Der Abend war so heiß wie der Tag. Und im ganzen Haus schien kein Fenster offen zu sein.
    »Dürfen wir hereinkommen?« fragte Barbara. »Wir hätten gern die Familie gesprochen. Jeden.«
    Er trat von der Tür zurück. Sie folgten ihm in das Wohnzimmer. Seine Frau saß dort und zupfte zerstreut an einer Stickarbeit, einem in einen Stickrahmen eingespannten Stück goldfarbenen Stoffs, in das bereits ein kompliziertes Muster aus geraden Linien und
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