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09 - Denn sie betrügt man nicht

09 - Denn sie betrügt man nicht

Titel: 09 - Denn sie betrügt man nicht
Autoren: Elizabeth George
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Schwüngen, Punkten und kleinen Schlangenlinien eingewirkt war. Barbara brauchte einen Moment, um zu erkennen, daß es sich um arabische Schriftzüge handelte.
    Auch Sahlah war da. Vor ihr auf dem niedrigen Couchtisch lag ein aufgeschlagenes Fotoalbum. Sie war dabei, Fotografien daraus zu entfernen. Auf dem Perserteppich um sie herum lagen die Bilder ihres Bruders, sorgfältig aus einer Aufnahme nach der anderen herausgeschnipselt, die bewiesen, daß er seinen Platz in der Familie verloren hatte. Barbara fröstelte bei dem Anblick.
    Sie ging zum Kaminsims, wo sie bei ihrem früheren Besuch die Fotos Muhannads, seiner Frau und seiner Kinder hatte stehen sehen. Die Aufnahme, die den Sohn der Familie mit seiner Ehefrau zeigte, war noch da, waren Sahlahs Schere noch nicht zum Opfer gefallen. Barbara nahm die Aufnahme in die Hand und entdeckte etwas, was ihr vorher nicht aufgefallen war. Das Bild war im Jachthafen von Balford aufgenommen. Hinter dem Paar mit dem Picknickkorb zu seinen Füßen konnte man Charlie Spencers Zodiacs liegen sehen.
    Sie sagte: »Yumn ist doch zu Hause, nicht wahr, Mr. Malik? Könnten Sie sie holen? Wir würden gern mit Ihnen allen gemeinsam sprechen.«
    Die beiden alten Leute tauschten einen furchtsamen Blick, als verheiße diese Bitte weiteres Unheil. Sahlah war es, die sprach, aber sie richtete das Wort an ihren Vater, nicht an Barbara. »Soll ich sie holen, Abhy-jahn?« Sie hielt die Schere senkrecht, ein Bild der Geduld, während sie auf die Anweisung ihres Vaters wartete.
    Akram sagte zu Barbara: »Ich bitte um Entschuldigung, aber ich sehe keine Notwendigkeit, Yumn zu belästigen. Sie hat genug durchgemacht. Sie ist Witwe geworden, ihre Kinder haben den Vater verloren. Ihre Welt ist in Trümmern. Sie ist zu Bett gegangen. Wenn Sie also meiner Schwiegertochter etwas zu sagen haben, muß ich Sie bitten, es zuerst mir zu sagen und mir zu gestatten, darüber zu urteilen, ob sie in der Verfassung ist, es zu hören.«
    »Dazu bin ich nicht bereit«, entgegnete Barbara. »Sie müssen sie schon herholen, sonst bleiben Inspector Barlow und ich so lange im Haus, bis sie in der Lage ist, mit uns zu sprechen.« Sie fügte hinzu: »Es tut mir leid«, weil sie verstand, in welcher Situation er sich befand. Er saß so offensichtlich zwischen den Stühlen, hin- und hergerissen zwischen Pflicht und Neigung. Die Tradition seines Volkes gebot ihm, die Frauen der Familie zu schützen. Doch seine persönliche Neigung, vom Leben in seiner Wahlheimat gebildet, war es, sich nach den hiesigen Gepflogenheiten zu richten und einer durchaus billigen Bitte der Vertreter des Staates nachzukommen.
    Die Neigung siegte. Akram seufzte. Er nickte Sahlah zu. Sie legte die Schere auf den Couchtisch. Sie klappte das Fotoalbum zu. Sie ging hinaus. Einen Augenblick später hörten sie ihre Sandalen auf der Treppe.
    Barbara sah Emily an. Ein lautloser Dialog fand zwischen den beiden Frauen statt. »Glaub ja nicht, daß das irgend etwas ändert«, erklärte Emily Barbara. »Wenn es nach mir geht, bist du als Polizistin erledigt.«
    Und Barbara antwortete: »Tu, was du nicht lassen kannst« und fühlte sich zum ersten Mal, seit sie Emily Barlow wiedergetroffen hatte, wirklich frei.
    Akram und Wardah warteten voll Unbehagen. Akram bückte sich, um die herausgeschnittenen Fotos seines Sohnes aufzuheben. Er warf sie in den offenen Kamin. Seine Frau legte ihre Stickerei weg und faltete die Hände im Schoß.
    Dann hörten sie Yumn und Sahlah die Treppe herunterkommen. Sie hörten Yumns Proteste, ihre quengelnde Stimme. »Was soll ich denn an diesem Abend noch alles ertragen? Was wollen sie von mir? Mein Muni hat nichts getan. Sie haben ihn von uns weggetrieben, weil sie ihn hassen. Weil sie uns alle hassen. Wer wird der nächste sein?«
    »Sie wollen doch nur mit uns sprechen, Yumn«, erwiderte Sahlah mit ihrer sanften Unschuldsstimme.
    »Nun, wenn ich das schon über mich ergehen lassen muß, dann nicht ohne eine Stärkung. Bring mir Tee. Und ich möchte richtigen Zucker, nicht dieses saure chemische Zeug. Hast du mich gehört? Wohin gehst du, Sahlah? Ich habe gesagt, du sollst mir Tee holen.«
    Sahlah trat ins Wohnzimmer. Ihr Gesicht war unbewegt. Yumn rief nörgelnd: »Ich habe dich gebeten - Ich bin die Frau deines Bruders. Du hast mir gegenüber Pflichten.« Dann trat auch sie ins Zimmer und wandte sich sofort an die beiden Beamtinnen. »Was wollen Sie noch von mir?« fragte sie scharf. »Was wollen Sie mir noch alles antun? Sie
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