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09 - Denn sie betrügt man nicht

09 - Denn sie betrügt man nicht

Titel: 09 - Denn sie betrügt man nicht
Autoren: Elizabeth George
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dem, was sie an diesem Abend gesehen und gehört hatte.
    Gesehen hatte sie die Gesichter der älteren Maliks, als diese versucht hatten, mit der Ungeheuerlichkeit des Verbrechens, das ihr geliebter Sohn an seinen eigenen Landsleuten begangen hatte, fertig zu werden. In ihm hatten seine Eltern die Zukunft gesehen - ihre eigene Zukunft und die Zukunft ihrer Familie, die von Generation zu Generation blühen und gedeihen würde. Er war ihnen Gewähr für ein sicheres und sorgenfreies Leben im Alter gewesen. Er war das Fundament gewesen, auf dem ein Großteil ihres Lebens aufgebaut war. Mit seiner Flucht, nein, mit dem Grund für seine Flucht war dies alles vernichtet worden. Alle Hoffnungen und Erwartungen, die sie in ihn gesetzt hatten, waren unwiederbringlich dahin. Und an ihrer Stelle war nichts geblieben als Schande, die Schande, die ihr Sohn über sie gebracht hatte, und die Schande, die ihre Schwiegertochter über sie gebracht hatte.
    Gehört hatte Barbara Sahlahs leise Antwort auf die Frage, die sie ihr abseits von ihren Eltern gestellt hatte. Was werden Sie jetzt tun? hatte sie gefragt. Was werden Sie tun im Hinblick auf alles, was geschehen ist? Auf alles, Sahlah.
    Natürlich war das nicht ihre Angelegenheit gewesen, aber angesichts der Zerstörung, die durch die Habgier eines Mannes und den übersteigerten Geltungstrieb einer Frau angerichtet worden war, hatte Barbara auf ein Zeichen gehofft, daß aus dem Unglück, das diese Menschen getroffen hatte, doch auch etwas Gutes entstehen würde. Ich werde bei meiner Familie bleiben, hatte Sahlah ihr geantwortet, so ruhig und sicher, daß es keinen Zweifel daran gab, daß nichts sie von ihrem Entschluß abbringen würde. Meine Eltern haben niemanden außer mir, und die Kinder werden mich jetzt brauchen, hatte sie gesagt. Barbara hatte gedacht: Und was brauchst du, Sahlah? Aber sie hatte diese Frage, die, wie sie jetzt wußte, einer Frau aus diesem Kulturkreis völlig fremd wäre, nicht gestellt.
    Sie seufzte. Jedesmal, wenn sie glaubte, dem Verständnis ihrer Mitmenschen einen Schritt nähergekommen zu sein, geschah etwas, was sie sofort wieder zurückwarf. Und diese letzten Tage, dachte sie, waren ein einziger permanenter Rückschlag gewesen. Zu Beginn hatte sie in ehrfürchtiger Bewunderung vor der Powerfrau der Kriminalpolizei Balford gestanden, und am Ende hatte sie mit Bestürzung erkennen müssen, daß ihr Idol auf tönernen Füßen stand. Im Grund genommen war Emily Barlow nicht anders als diese Frau, die sie soeben wegen Mordes verhaftet hatten: Beiden war jedes Mittel recht gewesen - egal, wie zerstörerisch -, um die Welt nach ihrem Willen zu ordnen. Die eine hatte einen Stolperdraht benutzt, die andere Macht. In beiden Fällen war das Ergebnis dasselbe: Sie bekamen, was sie wollten, aber der Preis war unermeßlich hoch.
    Die Hoteltür wurde geöffnet, bevor Barbara den Türknauf berührt hatte. Sie fuhr zusammen. Im Erdgeschoß brannte nirgends Licht. In der Dunkelheit hatte sie nicht gesehen, daß jemand auf ihre Ankunft gewartet hatte.
    O Gott, dachte sie. Bloß nicht Treves. Der Gedanke an eine weitere Runde 007 mit dem Hotelbesitzer war ihr ein Greuel. Aber dann sah sie den Schimmer eines tadellos gebügelten, leuchtendweißen Hemdes, und einen Moment später hörte sie seine Stimme.
    »Mr. Treves wollte nichts davon wissen, die Tür für Sie offenzulassen«, sagte Azhar. »Ich habe ihm versprochen, auf Sie zu warten und selbst abzusperren. Besonders sympathisch war ihm das nicht, aber er wußte wohl nicht, wie er ablehnen sollte, ohne mich direkt zu beleidigen statt wie sonst durch die Blume. Aber ich bin überzeugt, er wird gleich morgen früh das Silber nachzählen.« Sein Ton verriet, daß er lächelte.
    Barbara lachte leise. »Und zweifellos in Ihrem Beisein.«
    »Zweifellos«, bestätigte Azhar. Er schloß die Tür hinter ihr und drehte den Schlüssel um. »Kommen Sie.«
    Er führte sie in den dunklen Salon. Dort zündete er eine Lampe neben dem offenen Kamin an und begab sich hinter die Bar. Er goß zwei Fingerbreit Black Bush in ein Whiskyglas und schob es über den Magahonitresen zu Barbara. Sich selbst schenkte er ein Glas Bitter Lemon ein. Dann kam er um die Bar herum und setzte sich zu ihr an einen der Tische. Die Zigaretten legte er in die Mitte.
    Sie erzählte ihm alles, von Anfang bis Ende. Sie ließ nichts aus, weder Cliff Hegarty noch Trevor Ruddock, noch Rachel Winfield, noch Sahlah Malik. Sie berichtete, welche Rolle Theo Shaw
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