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09 - Denn sie betrügt man nicht

09 - Denn sie betrügt man nicht

Titel: 09 - Denn sie betrügt man nicht
Autoren: Elizabeth George
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gedroht hättest zu gehen, als der Betrieb vor anderthalb Jahren umgestellt werden mußte und du der einzige in Essex warst, der das hätte durchziehen können -«
    »Das stimmt doch gar nicht, Anita.«
    »Na bitte! Da hast du's!«
    »Was?«
    »Du bist viel zu bescheiden. Du machst nichts aus dir. Sonst hättest du bestimmt längst einen Vertrag. Wenn du nur einmal planen würdest, hättest du damals, als sie dich am dringendsten gebraucht haben, auf einen festen Vertrag bestanden.«
    Es war sinnlos, Anita erklären zu wollen, wie es im Geschäftsleben zuging, wenn sie so aufgebracht war. Und Ian konnte es seiner Frau im Grund nicht verübeln, daß sie aufgebracht war. In den sechs Jahren ihrer Ehe hatte er dreimal die Stellung verloren. In den ersten zwei Perioden der Arbeitslosigkeit hatte sie ihn unterstützt, aber damals hatten sie auch noch bei ihren Eltern gelebt und nicht die Geldsorgen gehabt, die sie jetzt niederdrückten. Ach, wenn doch alles anders sein könnte, dachte Ian. Wenn sein Arbeitsplatz doch nur sicher gewesen wäre. Aber sich in die unsichere Welt von »wenn doch nur« zu flüchten, war keine Lösung.
    Anita begann also wieder zu arbeiten. Sie bekam eine erbärmliche und schlechtbezahlte Stellung bei der Stadtbibliothek, wo sie Bücher ordnete und Rentnern half, ihre Zeitschriften zu suchen. Und Ian begab sich wieder einmal auf den demütigenden Weg der Arbeitssuche, und das in einem Teil des Landes, der schon lange tief in der wirtschaftlichen Krise steckte.
    Er begann jeden Tag damit, daß er sich sorgfältig kleidete und das Haus vor seiner Frau verließ. Er hatte sein Glück im Norden bis nach Ipswich versucht, im Westen bis nach Colchester. Er hatte sich in Clacton im Süden bemüht und war sogar bis nach Southend-on-Sea vorgestoßen. Er hatte sein Bestes getan, aber erreicht hatte er nichts. Und jeden Abend sah er sich Anitas schweigender, aber wachsender Verachtung gegenüber. An den Wochenenden floh er.
    Er floh in lange Wanderungen. Im Lauf der vergangenen Wochen hatte er die ganze Halbinsel Tendring kennengelernt wie seine Westentasche. Sein Lieblingsspaziergang begann nicht weit vom Ort wo hinter der Brick Barn Farm eine Seitenstraße zu dem Fußpfad über den Wade führte. Am Ende des Sträßchens pflegte er den Morris stehenzulassen, und wenn Ebbe war, stieg er in seine Gummistiefel und stapfte über den morastigen Damm zu dem Buckel Land, der Horsey Island hieß. Hier beobachtete er die Wasservögel und ging auf Muschelsuche. In der Natur fand er den Frieden, den sein Alltag ihm verwehrte. Und an den frühen Wochenendmorgen zeigte sich ihm die Natur von ihrer schönsten Seite.
    An diesem besonderen Samstagmorgen war Flut, darum wählte Ian den Nez für seine Wanderung. Der Nez war ein beeindruckendes, von Ginster überwuchertes Kap, das sich knapp fünfzig Meter über der Nordsee erhob und sie von den Salzwiesen eines Wattgebiets trennte, die man die Saltings nannte. Wie die Siedlungen an der Küste führte auch der Nez einen immerwährenden Kampf gegen die See. Doch im Gegensatz zu den Dörfern und Städten schützten ihn keine Molen; seine Hänge waren nicht mit Beton befestigt, der verhindert hätte, daß der unsichere Boden aus Lehm, Kiesel und Erdreich bröckelte und brach und zum untenliegenden Strand abrutschte.
    Ian beschloß, am Südostende des Kaps loszugehen, bis zur Spitze hinauszuwandern und auf der Westseite, wo Wattvögel wie Rotschenkel und Grünschenkel nisteten und in den Prielen nach Nahrung suchten, zurückzukehren. Fröhlich winkte er Anita bei der Abfahrt zu, die seinen Gruß mit ausdrucksloser Miene erwiderte, und schlängelte sich aus der Siedlung hinaus. Nach fünf Minuten erreichte er die Straße nach Balford-le-Nez, und noch einmal fünf Minuten später war er auf der Hauptstraße von Balford, wo im Dairy Den Diner gerade das Frühstück serviert wurde und vor Kemps Supermarkt die Gemüseauslagen gerichtet wurden.
    Er brauste durch den Ort und bog nach links ab, um der Küste zu folgen. Schon jetzt war zu spüren, daß es wieder ein heißer Tag werden würde. Er kurbelte das Fenster herunter, um die angenehme Salzluft zu genießen, und überließ sich ganz der Freude über diesen Morgen, entschlossen, die Schwierigkeiten zu vergessen, mit denen er zu kämpfen hatte. Einen Moment lang erlaubte er sich so zu tun, als wäre alles in bester Ordnung.
    In dieser Stimmung nahm Ian die Abzweigung zur Nez Park Road. Das Wächterhäuschen an der Einfahrt zum Kap
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