Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
09 - Denn sie betrügt man nicht

09 - Denn sie betrügt man nicht

Titel: 09 - Denn sie betrügt man nicht
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
löste sich die Gesellschaft auf. Barbara stand auf dem glühendheißen Pflaster der Royal Hospital Road und schwatzte noch ein wenig mit den anderen Gästen, unter ihnen Lynleys Trauzeuge Simon St. James, seines Zeichens Gerichtsmediziner. Nach bester englischer Manier hatte man sich zunächst über das Wetter unterhalten. Je nachdem, welche Einstellung der Sprecher zu Hitze, Luftfeuchtigkeit, Smog, Abgasen, Staub und grellem Licht hatte, wurde die derzeitige Witterung als wunderbar, gräßlich, angenehm, verdammt unangenehm, herrlich, köstlich, unerträglich, himmlisch oder schlicht höllisch eingestuft. Die Braut erhielt das Prädikat bezaubernd, der Bräutigam gutaussehend. Das Essen erhielt die Note hervorragend. Danach trat eine allgemeine Pause ein, während der die Gesellschaft sich entscheiden mußte, ob man das Gespräch fortsetzen und riskieren wollte, daß es über Banalitäten hinausging, oder sich lieber freundlich verabschiedete.
    Die Gruppe löste sich auf. Barbara blieb mit St. James und seiner Frau Deborah zurück. Beide stöhnten unter der gnadenlosen Sonne. St. James tupfte sich die Stirn immer wieder mit einem weißen Taschentuch, und Deborah fächelte sich mit einem alten Theaterprogramm, das sie aus ihrer geräumigen Strohtasche gekramt hatte, eifrig Kühlung zu.
    »Kommen Sie noch mit zu uns, Barbara?« fragte sie. »Wir setzen uns den Rest des Tages in den Garten und lassen uns von Dad mit dem Gartenschlauch abspritzen.«
    »Das klingt sehr verlockend«, sagte Barbara. Sie rieb sich den schweißfeuchten Hals.
    »Wunderbar.«
    »Aber ich kann nicht. Ehrlich gesagt, ich bin ziemlich fertig.«
    »Verständlich«, meinte St. James. »Wie lang ist es jetzt her?«
    »Wie dumm von mir«, sagte Deborah hastig. »Entschuldigen Sie, Barbara. Ich hatte es ganz vergessen.«
    Das bezweifelte Barbara. Angesichts des Pflasters über ihrer Nase und der Blutergüsse im Gesicht - ganz zu schweigen von dem angeschlagenen Schneidezahn - konnte wohl kaum jemand übersehen, daß sie kürzlich noch im Krankenhaus gelegen hatte. Deborah war nur zu höflich, um es zu erwähnen.
    »Zwei Wochen«, antwortete Barbara auf St. James' Frage.
    »Was macht die Lunge?«
    »Sie funktioniert.«
    »Und die Rippen?«
    »Die tun nur noch weh, wenn ich lache.«
    St. James lächelte. »Haben Sie Urlaub genommen?«
    »Ich bin dazu verdonnert worden. Ich darf erst wieder arbeiten, wenn ich die Genehmigung des Arztes habe.«
    »Das war wirklich eine schlimme Geschichte«, sagte St. James. »So ein Pech.«
    »Hm, na ja.« Barbara zuckte die Achseln. Zum ersten Mal hatte sie in einem Mordfall einen Teil der Ermittlungen ganz selbständig geleitet, und prompt war sie in Ausübung ihrer Pflicht verwundet worden. Sie sprach ungern darüber. Ihr Stolz hatte so sehr gelitten wie ihr Körper.
    »Und was haben Sie nun vor?« fragte St. James.
    »Sehen Sie zu, daß Sie der Hitze entkommen«, riet Deborah. »Fahren Sie in die Highlands. Oder ins Seengebiet. Oder fahren Sie ans Meer. Ich wollte, wir könnten hier weg.«
    Barbara sann über Deborahs Vorschläge nach, während sie die Sloane Street hinauffuhr. Nach Abschluß des letzten Falles hatte Inspector Lynley ihr strengen Befehl gegeben, Urlaub zu machen, und hatte diesen Befehl bei einem kurzen persönlichen Gespräch nach der Hochzeit noch einmal wiederholt.
    »Es ist mir ernst, Barbara«, hatte er gesagt. »Sie haben Urlaub gut, und ich möchte, daß Sie ihn nehmen. Ist das klar?«
    »Klar, Inspector.«
    Nur war leider gar nicht klar, was sie mit der aufgezwungenen Muße anfangen sollte. Der Gedanke, eine Zeitlang ganz ohne Arbeit auskommen zu müssen, war für sie so beängstigend, wie er nur für eine Frau sein konnte, die ihr Privatleben, ihre wunde Seele und ihre empfindlichen Gefühle allein dadurch in Schach hielt, daß sie nie Zeit hatte, sich um sie zu kümmern. In der Vergangenheit hatte sie ihre Urlaube vom Yard dafür verwendet, ihren schwerkranken Vater zu betreuen. Nach seinem Tod hatte sie ihre freien Stunden dazu genutzt, mit der geistigen Verwirrung ihrer alten Mutter fertig zu werden, für die Renovierung und den Verkauf des elterlichen Hauses zu sorgen und ihren eigenen Umzug in ihr jetziges Häuschen zu erledigen. Muße war nichts für sie. Allein die Vorstellung von Minuten, die sich zu Stunden summierten, zu Tagen dehnten, zu einer ganzen Woche oder vielleicht sogar zwei ... Ihre Hände wurden feucht bei dieser Aussicht. Schmerz schoß bis in ihre Ellbogen. Jede Faser
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher