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09 - Denn sie betrügt man nicht

09 - Denn sie betrügt man nicht

Titel: 09 - Denn sie betrügt man nicht
Autoren: Elizabeth George
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Prolog
    Der Abstieg in Ian Armstrongs Leben hatte an dem Tag begonnen, an dem er seinen Arbeitsplatz verlor. Schon als man ihm die Stellung zugesagt hatte, war ihm klar gewesen, daß es nur eine Arbeit auf Zeit war. Die Annonce, auf die er sich gemeldet hatte, hatte nichts anderes vorgegeben, und man hatte ihm nie einen festen Vertrag angeboten. Doch nachdem zwei Jahre vergangen waren, ohne daß je das Wörtchen Entlassung gefallen wäre, hatte Ian unklugerweise zu hoffen gewagt. Das war dumm gewesen.
    Ians vorletzte Pflegemutter hätte die Nachricht vom Verlust seiner Arbeitsstelle mit den Worten aufgenommen: »Tja, mein Junge, wie der Wind weht, kann man nicht ändern. Wenn er über Kuhmist weht, hält sich ein kluger Mensch die Nase zu.« Sie hätte sich dabei lauwarmen Tee in ein Glas gegossen - sie benutzte niemals Teetassen - und hinuntergekippt. Dann hätte sie gesagt: »Nimm's, wie's kommt, mein Junge« und sich wieder der neuesten Ausgabe von Hello zugewandt, um die Bilder der Reichen und Schönen zu bewundern, die in schicken Londoner Wohnungen und auf eleganten Landsitzen ein luxuriöses Leben führten.
    Das wäre ihre Art gewesen, Ian zu raten, sich mit seinem Schicksal abzufinden, ihr wenig taktvoller Hinweis darauf, daß einer wie er für ein Leben im Luxus eben nicht geschaffen sei. Aber Ian hatte ein solches Leben nie angestrebt. Er hatte nie mehr gewollt, als anerkannt und akzeptiert zu werden, und diese beiden Ziele verfolgte er mit der Inbrunst eines verlassenen Kindes, das es nie geschafft hatte, adoptiert zu werden. Er hatte schlichte Wünsche: eine Frau, eine Familie und die Gewißheit, daß seine Zukunft rosiger ausfallen würde als seine harte Vergangenheit.
    Diese Ziele waren einst erreichbar erschienen. Er machte seine Arbeit gut. Er war jeden Morgen überpünktlich ins Büro gekommen. Er hatte Überstunden ohne Bezahlung geleistet. Er hatte sich die Namen seiner Mitarbeiter eingeprägt. Er war sogar so weit gegangen, sich die Namen ihrer Ehepartner und Kinder zu merken, und das war keine Kleinigkeit. Und zum Dank für all seine Anstrengungen hatte man ihm im Büro eine Abschiedsfeier mit Fertigbowle ausgerichtet und ihm eine Schachtel Taschentücher aus einem Billigkaufhaus geschenkt.
    Ian hatte versucht, dem Unvermeidlichen zuvorzukommen, es vielleicht sogar abzuwenden. Er hatte auf seine Leistungen hingewiesen, auf die vielen freiwilligen Überstunden, die er gemacht hatte, auf das Opfer, das er gebracht hatte, indem er sich nicht nach einer anderen Anstellung umgesehen hatte, solange er den Posten auf Zeit innegehabt hatte. In dem Bemühen um einen Kompromiß hatte er angeboten, sich mit einem niedrigeren Gehalt zufriedenzugeben, und zum Schluß hatte er darum gebettelt, seinen Job behalten zu dürfen.
    Es hatte Ian nichts ausgemacht, sich vor seinem Arbeitgeber zu erniedrigen. Hauptsache, er behielt seine Arbeit. Denn nur wenn er Arbeit hatte, konnte er weiterhin sein neues Haus abzahlen. Und dann konnten Anita und er in ihren gemeinsamen Bemühungen fortfahren, Mikey ein kleines Geschwisterchen zu bescheren, dann brauchte Ian seine Frau nicht zur Arbeit zu schicken. Vor allem aber wäre ihm Anitas verächtlicher Blick angesichts seiner erneuten Arbeitslosigkeit erspart geblieben.
    »Es ist diese gemeine Rezession, Schatz«, hatte er zu ihr gesagt. »Die nimmt einfach kein Ende. Die Bewährungsprobe unserer Eltern war der Zweite Weltkrieg. Unsere ist diese Wirtschaftskrise.«
    Ihr geringschätziger Blick hatte gesagt: »Komm mir nicht mit Philosophie. Du hast deine Eltern ja nicht mal gekannt, Ian Armstrong.« Tatsächlich jedoch sagte sie mit ganz unangemessener und daher unheilverkündender Freundlichkeit: »Na, da lande ich wohl wieder in der Bibliothek. Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, was groß übrigbleiben soll, wenn ich jemanden bezahlen muß, der auf Mikey aufpaßt, solange ich weg bin. Oder hattest du vielleicht vor, ihn selbst zu hüten, anstatt auf Arbeitssuche zu gehen?« Sie lächelte mit verkniffener Unaufrichtigkeit.
    »Ich hab' noch gar nicht darüber nachgedacht -«
    »Das ist ja das Schlimme an dir, Ian. Du denkst nie nach. Nie hast du einen Plan. Wir schlittern vom Problem in die Krise und weiter an den Rand der Katastrophe. Wir haben ein neues Haus, das wir nicht bezahlen können, und ein Kind, das wir ernähren müssen, und trotzdem fällt dir nicht ein, mal nachzudenken. Wenn du vorausgeplant hättest, wenn du dich bei der Firma unentbehrlich gemacht und
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