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09 - Denn sie betrügt man nicht

09 - Denn sie betrügt man nicht

Titel: 09 - Denn sie betrügt man nicht
Autoren: Elizabeth George
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Wänden zu sickern, die über und über mit Graffiti, vornehmlich obszöner Art, bedeckt waren.
    Durch schmale Fensteröffnungen fiel Licht, und Ian konnte sehen, daß der Bunker - den er trotz seiner vielen Ausflüge auf den Nez nie zuvor erkundet hatte - aus zwei konzentrischen Mauerringen bestand. Er hatte die Form eines Donuts, und eine Öffnung in der inneren Mauer bot Zugang zu seinem Zentrum. Dorthin hatte es die Möwen gezogen, und nachdem Ian auf dem von Abfällen übersäten Boden nichts von Bedeutung entdeckt hatte, bewegte er sich auf diese Öffnung zu und rief: »Hallo? Ist da jemand?«, obwohl er sich hätte sagen müssen, daß ein Tier - ob verletzt oder nicht - ihm wohl kaum antworten würde.
    Die Luft war muffig. Draußen kreischten die Vögel. Als er die Öffnung erreichte, konnte er ihren Flügelschlag hören und das Tippeln ihrer Schwimmfüße, als einige der kühneren schon wieder Stellung bezogen. Nein, so geht das nicht, dachte Ian grimmig. Schließlich war er hier der Mensch, Herr des Planeten und König all dessen, was er überblickte. Undenkbar, daß eine Bande frecher Vögel sich anmaßte, ihm die Herrschaft streitig zu machen.
    »Haut ab!« rief er. »Los, ab mit euch! Weg da!« und stieß ins Zentrum des Bunkers vor. Vögel flatterten himmelwärts. Ians Blick folgte ihrem Flug. »Das ist schon besser«, sagte er und schob die Ärmel seiner Jacke bis zu den Ellbogen hoch, um dem von den Möwen gemarterten Geschöpf Hilfe zu leisten.
    Es war kein Seehund, und nicht alle Möwen hatten sich vertreiben lassen. Das sah er mit einem Blick. Ihm drehte sich der Magen um, und sein Schließmuskel erzitterte.
    Ein junger Mann mit dünnem Haar saß aufrecht an die alte betonierte MG-Stellung gelehnt. Daß er tot war, demonstrierten die zwei verbliebenen Möwen, die sich über seine Augen hergemacht hatten.
    Ian Armstrong trat einen Schritt an den Toten heran. Er fühlte sich selbst wie tot. Als er wieder Luft bekam und seinen Augen trauen konnte, stieß er nur zwei Worte aus: »Heiliger Himmel!«

1
    Wer behauptet, der April sei der grausamste Monat des Jahres, war nie während einer sommerlichen Hitzewelle in London. Etwas Grausameres als die letzten Junitage, da die Luftverschmutzung den Himmel in elegantes Braun kleidete, Dieseldämpfe Gebäude - und Nasenwände - mit schlichtem Schwarz umschleierten und das Laub der Bäume sich in hochmodischem Staubgrau präsentierte, gab es nicht. Es war die Hölle. Zu dieser unsentimentalen Bewertung der Hauptstadt ihres Heimatlandes gelangte jedenfalls Barbara Havers, als sie in ihrem klappernden Mini durch die Stadt heimwärts fuhr.
    Sie war ganz leicht - aber dennoch angenehm - angesäuselt. Nicht so sehr, daß sie sich selbst oder andere auf der Straße hätte gefährden können, aber doch so weit, daß sie auf die Ereignisse des Tages durch das rosige Licht zurückblicken konnte, das teurer französischer Champagner zu entzünden pflegt.
    Sie kehrte von einer Hochzeit nach Hause. Sie war nicht das gesellschaftliche Ereignis des Jahrzehnts gewesen, was sie von einem Tag, an dem ein hochwohlgeborener Earl endlich seine langjährige Angebetete heimführte, eigentlich erwartet hätte. Es war vielmehr eine Trauung in aller Stille auf dem Standesamt in Belgravia gewesen, wo besagter Earl seinen Wohnsitz hatte. Und statt blaublütiger Gäste in Samt und Seide waren nur die engsten Freunde des Earl geladen gewesen sowie einige seiner Polizeikollegen von New Scotland Yard. Barbara Havers gehörte zur letzteren Gruppe, obwohl sie sich manchmal schmeichelte, auch zur ersteren zu gehören.
    Bei genauerer Überlegung war Barbara klar, daß sie von Inspector Thomas Lynley eigentlich nichts anderes hatte erwarten können als so eine Trauung im engsten Kreis. Solange sie ihn kannte, hatte er, der den Titel Lord Asherton trug, sein adeliges Licht stets unter den Scheffel gestellt, und das letzte, was er gewollt hätte, wäre ein rauschendes High-Society-Fest gewesen. So hatten sich also statt dessen sechzehn Gäste, die entschieden nicht High-Society waren, versammelt, um Lynley und Helen Clyde beim Sprung in die Ehe Beistand zu leisten, und hinterher hatte man sich ins La Tante Claire in Chelsea begeben, wo sechs verschiedene Arten von Hors d’œuvres, Champagner, ein Mittagessen und noch mehr Champagner gewartet hatten.
    Nachdem alle Reden gehalten waren und das Hochzeitspaar in die Flitterwochen aufgebrochen war, deren Ziel preiszugeben es sich lachend geweigert hatte,
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