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Marek-Miert 01 - Der dreizehnte Mann

Marek-Miert 01 - Der dreizehnte Mann

Titel: Marek-Miert 01 - Der dreizehnte Mann
Autoren: Manfred Wieninger
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I
    „Sie werden mich holen. Morgen“, hatte die Stimme gesagt, „Kommen Sie. Kaddisch, Eisnerstraße 117.“ Dann war der Hörer auf die Gabel gelegt worden.
    In der Leitung war Verkehrslärm zu hören gewesen. Die Stimme hatte einen schweren Akzent. Die Eisnerstraße lag irgendwo in der Bahnhofsgegend, und es war acht Uhr an einem rheumatischen Novemberabend. Vier gute Gründe, eine Flasche Kalterer See zu öffnen und Dvorák zu hören und die letzte Tiefkühlpizza in einen verbrannten Diskus zu verwandeln. Jedenfalls war nichts an diesem Anruf, was auf einen seriösen Klienten hoffen ließ, auf einen guten, sauberen Klienten, der bar bezahlte und nicht auf den Teppich spuckte.
    Vorgestern hatte ein Betrunkener angerufen und mir frohe Ostern gewünscht. Anfang letzter Woche war der Gaskassier erschienen und hatte mißbilligend auf meine Elektroheizung gestarrt. Ansonsten war mein Wohnbüro schon seit Monaten so still wie der Tod. Ich konnte mich nicht einmal mehr an das Gesicht meines letzten Klienten erinnern. Ich war so allein wie der Uranus und so gefragt wie die Beulenpest.
    Im Telefonbuch gab es zwischen Kachelmayr und Kadler keinen Eintrag. Ich steckte meine Pistole 08 in den Hosenbund und versuchte vergebens, das Magazin mit den Patronen zu finden. Wahrscheinlich hatte ich es mit einem Hemd mitgewaschen. Das Beste an der Waffe war, daß sie nicht registriert, das Zweitbeste, daß der Verschluß verrostet war. Zuletzt hatte mein Großvater daraus 1946 einen Schuß in die Luft abgefeuert und damit den Diebstahl von zwei Hühnern aus seinem Besitz (der damals aus der Pistole und eben den beiden Hühnern bestand) verhindert.
    Noch hatte ich rein theoretisch eine gute Chance, im Flur zu stolpern und mir das Wadenbein zu brechen. Aber ich war schon immer ganz groß im Verjuxen von Chancen und machte mich auf den Weg.
    Als ich aus dem Tor trat, quoll aus den Fenstern des gegenüberliegenden Blockes blaues, dünnes Licht - die große Samstagabend-Show hatte eben begonnen.
    Ich fuhr an frierenden Straßennutten vorüber, dann an ihren Zuhältern, die in goldlamettafarbenen Cabriolets mit violetten Verdecks hockten und die Standheizungen auf vollen Touren laufen ließen. Aus dem feuchten Dämmer erhob sich schließlich der Hauptbahnhof, ein historistischer Sandstein-Kasten mit Türmen und Zinnen wie eine nie eroberte Kreuzfahrerburg. Dahinter schlich sich die Eisnerstraße ins Türkenviertel.
    Nummer 115 war eine Münzwäscherei, 119 ein zweistöckiger Betonwürfel, den sich eine Peepshow, ein astrologischer Salon und mehrere Kreditvermittler einträchtig teilten. Dazwischen lag eine aufgegebene Baugrube, auf deren Boden Fundamentflächen von mannshohem Unkraut und Gesträuch überwuchert wurden. Ich fuhr zweimal daran vorbei, bis ich die Holzhütte im hinteren Teil des Areals entdeckte. Sie stand hart am Rand der Baugrube, und eine kleine Müllhalde zog sich den steil abfallenden Abhang hinunter.
    Ich mußte nicht durch das Loch in der Erde, denn ein matschiger Treppelweg führte an seinem linken Rand vorbei zu der vergessenen Bauhütte. Sie war nur mit Teerpappe gedeckt, und aus einem Fenster strahlte schwaches Licht, dem ich wie ein verirrter Moorwanderer folgte.
    Die Dunkelheit begann ihren schwarzen, eleganten Mantel über die schäbige Szenerie zu legen, Stapel von nachtschwarzem Samt kleideten den Grund der Grube aus. Niemand würde mich vermissen, wenn ich dort unten mit zerschlagenen Knochen zwischen den Fundamenten läge.
    Während des Näherkommens schien die Behausung meines künftigen Klienten und Arbeitgebers noch winziger zu werden. Ich hatte schon immer eine Begabung dafür, die falschen Leute zur falschen Zeit am falschen Ort zu treffen. Ich schlug mit der Fußspitze gegen die Tür der Bauhütte und wartete.
    König Lear öffnete mir: groß, grau und tolstoibärtig. Die gelbe Haut seines Gesichtes spannte sich über den Backenknochen. Auch seine Augen waren gelb. Lear steckte in einem flaschengrünen Anzug und war etwa Anfang Sechzig.
    „Herr Kaddisch?“
    Er verbarg die rechte Hand hinter seinem Rücken. Mit meinem linken Ellbogen tastete ich nach der leeren 08 im Hüftholster.
    „Wer will das wissen?“ - die Stimme mit dem Akzent.
    „Der Trottel, den Sie angerufen haben. Welche Methode übrigens?“
    „Methode?“
    „Na, wie sind Sie auf mich gekommen?“
    „Schlechtes Licht in der Telefonzelle. Ich konnte im Branchenverzeichnis gerade Ihren Namen und Ihre Nummer entziffern.“ Kalt
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