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Marek-Miert 01 - Der dreizehnte Mann

Marek-Miert 01 - Der dreizehnte Mann

Titel: Marek-Miert 01 - Der dreizehnte Mann
Autoren: Manfred Wieninger
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sind.“
    Ich seufzte elegisch durch die Nase. Meine Beziehung zu Longinus hatte schon in der Gymnasialzeit fest darauf gefußt, daß ich seinen ausufernden Monologen durch Lakonie Raum gab.
    „Das Krankenhaus besteht aus elf Abteilungen. Von der Internen bis zur Chirurgie. Die Prosektur ist Abteilung 13.“
    „Das klingt alles, als würdest du dem schönen Zentralkrankenhaus Harland auf immer ade sagen wollen.“ Auf der einen Seite konnte mir Saleks Jammer im Grunde egal sein (ich war an seinen Informationen über Emma Holzapfel interessiert und hoffte, diese billig zu bekommen), auf der anderen Seite war Longinus ein Teil von mir selbst, seit wir zusammen über der Algebra und dem Accusativus cum Infinitivo gebrütet haben. Mit jemandem jahrelang die Schulbank zu drücken bedeutet, daß eine Art von Verbindung (oder Übereinstimmung), und wenn sie durch das Leben auch noch so ausgedünnt werden wird, für immer bestehen bleibt. Wahrscheinlich, so dachte ich, ist das die einzige stabile Beziehung, die zwischen Menschen überhaupt möglich ist.
    „Ich werde die Tür mit aller Wucht hinter mir zuschlagen. Und meine Fahrkarte woandershin ist hier drin.“ Salek schien den ganzen Kellerraum umarmen zu wollen.
    Auch jemand, der vor fünfzehn, sechzehn Jahren „De Bello Gallico“ glänzend zu übersetzen vermocht hatte, konnte inzwischen meschugge geworden sein, dachte ich.
    „Seit zehn Jahren bringen sie mir alte Knochen. Die Stadt wächst wie ein Tumor. Fast immer, wenn irgendwo eine Baugrube ausgehoben wird oder ein Bankett für eine Straße, stoßen sie auf die Vergangenheit. Die Stadt ist ein einziger Friedhof. Wenn man Einkaufszentren oder Garagen in die grüne Wiese klotzt, müssen die Toten weg. Man wirft ihre Überbleibsel in Müllsäcke und bringt sie mir. Es sind fast immer Soldaten der Dritten Ukrainischen Front des Marschall Tolbuchin. Oder Waffen-SS. Oder Volkssturmmänner, verscharrt mit ihren minderwertigen italienischen Beutekarabinern. Ich erkenne die Kombattanten inzwischen an ihren jeweiligen Uniformknöpfen, dünnes Stahlblech mit etwas Messing daraufgespuckt. Die Bauarbeiter stehlen sehr oft die verrosteten Waffen und Stahlhelme, um sie an Sammler zu verkaufen, aber ich erkenne das Schlachtvieh an seinen Litzen, an den verrotteten Soldbüchern, an den verrosteten Spangen, Hakenkreuzen und Reichsadlern. Die Russen auch daran, daß sie keine Zahnplomben haben, weil Amalgam bei ihnen rar war. Am Ende dieser sinnlosen Untersuchungen rufe ich immer Oberleutnant Gabloner an und melde ihm: kein Mord. Die fleischlosen Fragmente der Helden vom April 1945 landen dann alle auf den beiden Soldatenfriedhöfen der Stadt. Die Friedhofsverwaltung macht sich nicht einmal mehr die Mühe, die Soldbücher oder meine Protokolle zu lesen und die Namen der Gefallenen in Grabsteine meißeln zu lassen. Rasenbeerdigung nennen sie ihr Verfahren. Die Baufirmen verfluchen mich, weil ich oft halbe Tage an den Fundstellen herumstochere und ihre Bagger behindere. Zeit ist Geld. Aber ich bin eben der zuständige Harlander Amtsarzt für das hier“, Salek war an den ersten Tisch getreten und hatte die grüne Plane mit einem Ruck weggezogen: Auf dem Aluminium lagen nichts als Knochen. Lange Röhrenknochen, Schädel, Schulterblätter, Hand- und Fußwurzelknöchelchen, fleischlos, erdbraun, antiseptisch, zerfressen, durchlöchert, aufgesprengt. Man kann dem alten Longinus einen gewissen Sinn für Dramaturgie nicht absprechen, dachte ich.
    „Und diesmal? Wieder kein Mord?“ Ich war gerade noch als Stichwortbringer zu gebrauchen.
    „Diesmal ist es interessanter: keine Lederreste von Stiefeln, von Knobelbechern, sondern Reste von Stoffschuhen mit Pappkartonsohlen. Kein militärischer Ornat, keine Knöpfe und Orden, sondern Reste von Zwirnknöpfen.“
    „Zivilisten?“
    „Das habe ich zuerst auch geglaubt, aber dann habe ich unter den gestrengen Augen der örtlichen Bauaufsicht acht dieser Hundemarken aus der Erde gekratzt“, Salek griff in den Haufen aus Calciumcarbonat, der einst einige Mütter zu stolzen Hoffnungen berechtigt hatte, und zog ein Metallplättchen hervor, an dem noch der Rest einer feingliedrigen Kette hing.
    „Dir wird auffallen, daß die Marke nicht in der Mitte perforiert ist wie beim Barras üblich. Das ist keine militärische Erkennungsmarke. Auch die Zahl ist dafür zu kurz“, Salek reichte mir das rauhe, oxydierte Plättchen und genoß es sichtlich, sein überlegenes Wissen nur kleinweise preiszugeben
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