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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus
Autoren: Pierre Magnan
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~ Prolog ~
    MONGE war auf der Hut. Dies war eine jener Nächte, die es einem geraten scheinen lassen, wachsam zu sein, um bösen Überraschungen aus dem Weg zu gehen; eine Nacht, in der man den Atem anhält, in der man in dieser Gegend auf alles gefaßt sein muß.
    Monge hatte soeben in den Ställen die Pferde trockengerieben, die für die Post nach Gap bestimmt waren und die vor Nässe trieften wie Scheuerlappen. Früh um drei würde er aufstehen müssen, um ihnen Futter zu geben; denn in der Dämmerung würde man sie als Zugpferde vor den Leiterwagen spannen, mit dem die Post nach Embrun befördert wurde.
    Gerade hatte er den Handwerksgesellen, der zwischen den Pferdegeschirren auf einem Haufen von Postsäcken Quartier bezogen hatte, mit einem Laib Brot und einer Hartwurst versorgt. Bei Einbruch der Dunkelheit war er eingetroffen, der Bursch, als hätte man gerade noch auf ihn gewartet, herausgeputzt wie ein junger Bräutigam, mit seinem bändergeschmückten Stock. Obwohl er völlig durchnäßt war und sein Gesellenhut vor Feuchtigkeit glänzte, hatte er den Anwesenden, die mit weit aufgerissenen Augen das Halbdunkel zu durchdringen versuchten, ein »Grüß euch Gott, alle zusammen!« zugerufen. Monge hatte ihn ohne Umschweife zu den Pferdeställen gebracht.
    Der Fuhrhalter hängte seine Pelerine hinter der Tür auf und betrachtete seine Angehörigen mit diesem neuen Blick, den er seit einiger Zeit für alles hatte.
    Die Hängelampe brannte noch nicht. Das Licht des Herdfeuers genügte für die üblichen Verrichtungen. An den Wänden, an denen grüne Salpeterblumen blühten, zeichneten sich die vom Zucken der Flammen zerfetzten Schatten der Zimmergenossen ab, die sich unter der niedrigen Decke aufhielten.
    Am Boden piepste le caquois, das Küken, in seiner Wiege vor sich hin. Die Girarde stand auf. Sie legte einen Stapel Bettücher ordentlich auf einer Ecke der Backtruhe zurecht. Sie nahm das Kleine in ihre rotgescheuerten Hände und setzte sich dem Papé, dem Opa, gegenüber an die andere Seite des Kamins.
    Beim ersten Geräusch des sich öffnenden Mieders verstummte das Kind wie durch ein Wunder. Es hielt sich mit beiden Händen an der Brust fest, die seine Mutter ihm darbot, und sogleich hörte man, untermalt vom Knistern des Feuers, auf dem die abendliche Suppe kochte, nur noch die Sauggeräusche seiner ungeduldigen Lippen.
    Der Papé hielt seinen zahnlosen Mund ungeniert geöffnet und sah sich an diesem für ihn immer wieder neuen Schauspiel satt. Er hatte seine Freude an diesem beginnenden Leben, zu dem er genug eigenes beigesteuert zu haben glaubte, um sein Fortleben zu sichern.
    Dieser Großvater war überhaupt ein Philosoph. Seitdem ihm die Zähne ausgefallen waren, kaute er keinen Tabak mehr. Fünfzig Jahre lang hatte ihn unaufhörliches Kauen den Geräuschen seiner Umwelt entzogen, so daß er nun alles mit neugeschärften Ohren aufnahm.
    An jenem Abend erlosch sein Interesse für die Brust seiner Tochter mit einem Schlag. Sein Blick kletterte die Wand hoch bis zu den grünen Salpeterblumen. Ohne den Kopf zu bewegen, rief er mit seiner tonlosen Stimme nach seinem Schwiegersohn: »Monge, hörst du nichts?«
    »Was soll ich schon groß hören?« brummte Monge.
    Der Papé wandte den Kopf, ohne zu antworten. Aus seinen Ohren quoll weißes Haar hervor. Er spitzte sie, so gut er konnte, um die Geräusche zu erhaschen.
    Draußen erfüllte das Rauschen der Durance, die ihr ganzes Bett von den brüchigen Uferhängen bei Dabisse bis zum Deich von Peyruis in Anspruch nahm, das Tal mit einem Lärm, der alles mit sich riß, das Klagen des Sturms, die Geräusche einer hin und wieder vorbeirollenden Kutsche oder einer in einem Schafstall zusammengedrängten Herde.
    In diesem Getöse rollender Steine, das den Schutzwall der Mauern mühelos durchdrang, war das anzügliche Gekicher der beiden älteren Mongekinder, die sich unter dem mit einem Wachstuch bedeckten Tisch verstohlen kitzelten, kaum zu vernehmen.
    Monge zuckte mit den Schultern; dennoch begab er sich zu der Fensterluke über dem Spülstein und hob den Vorhang.
    Die Nacht, die sich vor ihm auftat, war genau so, wie er sie sich vorgestellt hatte. Der Himmel, aus dem sich seit drei Wochen Wassermassen ergossen, hatte wie jeden Abend bei Einbruch der Dämmerung aufgeklart. Die noch regenschweren Wolken zogen über den vollen Mond hinweg. Im kalten Licht schoß der Strom zwischen seinen kaum auszumachenden Ufern dahin.
    Das Wasser floß dick und zäh wie Mörtel;
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