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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus
Autoren: Pierre Magnan
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die Untiefen der Furten warfen Wellenkämme auf, und die Wasseroberfläche erschien Monges Blicken in den Farben der Fäulnis.
    Zwischen der Durance und der Poststation La Burlière erhob sich hinter der Straße ein schöner weißer Damm – der aufgeschüttete Schotter für die Bahngeleise. Er endete dort vorne. Morgen würden – dampfend unter dem Regen und vom Gequietsche und den Rauchwolken der Lokomotiven begleitet – hundert Arbeiter auftauchen. Sie würden mit dem Gleisbau dort weitermachen, wo sie am Vorabend aufgehört hatten. Sie würden den Damm um zwanzig, dreißig Meter verlängern, und dies jeden Tag, bis sie hinter der nächsten Biegung verschwinden würden. Und die Schienen würden Rost ansetzen in Regen und Wind, und eines schönen Tages, wenn Sisteron, wenn Gap erreicht war, würde der Zug an La Burlière vorüber- fahren, und Schluß würde sein mit Monges Beruf. Aber Monge begegnete diesen Aussichten, die sein Leben einschneidend verändern konnten, mit der mechanischen Gleichmut, die er allen Ereignissen entgegenbrachte – seit jenem Abend.
    Er hatte einen bitteren Zug um den Mund, dieser Monge. Eine fixe Idee quälte ihn wie ein Geschwür. Seit Monaten lebte er nun schon wie in Trance. Seit jenem Tag, an dem er die Kellertreppe heraufgekommen war und dabei rein zufällig durch einen Spalt der nicht ganz geschlossenen Falltür eine behaarte Pranke bemerkt hatte, die sich hastig vom Handgelenk der Girarde zurückzog, auf das sie sich schützend gelegt hatte. Er hatte nichts wissen wollen, nichts in Erfahrung zu bringen gewagt. Die Szene hatte sich ohnehin blitzartig abgespielt. An jenem Tag, einem Samstag, waren die Wagen aus allen Himmelsrichtungen in La Burlière zusammengekommen. Zahlreiche Fuhrleute brachen auf, kamen an, wollten etwas zu trinken haben. Dabei entstand in Haus und Hof ein Durch- einander von Flüchen, Rufen, Peitschengeknall, Gelächter, von Hin- und Hergelaufe genagelter Schuhe. Wie hätte man in diesem Tohuwabohu denjenigen herausfinden sollen, der sich diese Geste erlaubt hatte? Eine offenbar willkommene Geste, denn die Girarde hatte ihre Hand nicht zurückgezogen. Überhaupt hätte man erst einmal das Bedürfnis danach haben müssen. Monge hatte der Antrieb dazu gefehlt. Er war zu sehr überrascht worden, um sich unbedacht auf ein Drama einzulassen. Das hätte alle seine Pläne durcheinandergebracht. Er hatte sich also nichts anmerken lassen, aber seither war er ins Grübeln geraten.
    Er beobachtete schweigend, wie sich diese neue Frau an seiner Seite entfaltete, ohne einen Unterschied zur früheren feststellen zu können. Er belauerte sie leidenschaftlich und ließ dabei keinerlei Veränderung in seinem gewöhnlichen Gesichts- ausdruck durchschimmern. Und seine Verstellung war belohnt worden. Eines Nachts war er von einem seltsamen Geräusch aufgewacht. Es kam von der Girarde, die neben ihm träumte. Sie schrie leise im Schlaf. War es der Schrei eines verwundeten Tiers, war es ein Brunftschrei? Monge hätte es nicht zu sagen gewußt. Die Schreie waren jedenfalls nicht für ihn bestimmt. Sie gingen über seinen Kopf hinweg, sie gingen durch ihn hindurch. Es waren Hilfeschreie oder auch Freudenschreie, die sich an irgend jemanden richteten.
    Dies geschah noch mehrere Male im Laufe der Nächte, während unter der Bettdecke der Bauch der Girarde sich mehr und mehr zu einem Hügel auswuchs, der das gesamte Bettzeug für sie beanspruchte. Monge zündete die Öllampe an und blieb minutenlang auf den Ellbogen gestützt liegen und beobachtete die dicken Lippen der Girarde. Niemals entglitt ihnen ein deutlich vernehmbares Wort, aber die Heftigkeit, mit der die zusammenhanglosen Worte hervorgestoßen wurden, boten Monges Einbildungskraft einen weiten Spielraum, dem er keinerlei Beschränkung auferlegte. Die Erregung legte sich übrigens ebenso plötzlich, wie sie begonnen hatte. Schlagartig nahm das Gesicht der Schläferin wieder seine runde Form, seinen zufriedenen Ausdruck an, als habe der Traum, der sich in ihrem Unterbewußten geformt hatte, es vermocht, sie zu besänftigen.
    Unter diesen hartnäckig wachenden Blicken erwachte die Girarde nie. An Monge war es schließlich, die Lampe auszublasen und aufgewühlt liegenzubleiben, Trost zu suchen in den Geräuschen, die von draußen hereindrangen, im Wind in den Pinien, dem Murmeln der Durance, dem Glockengeläut dort oben bei den Klosterbrüdern von Ganagobie, die dieser Welt Lebewohl gesagt hatten, in der die Frauen im Ehebett
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