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Koks und Karneval

Koks und Karneval

Titel: Koks und Karneval
Autoren: Thomas Ziegler
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    Über Nacht hatte sich in Köln eine ungesunde, schrille Fröhlichkeit breitgemacht. Kostümierte Sekretärinnen gingen mit Scheren bewaffnet auf Männerjagd, alkoholisierte Geschäftsleute warfen Luftschlangen durchs Büro, und übergeschnappte Rundfunkmoderatoren feierten den Beginn der tollen Tage mit Schunkelliedern und improvisierten Büttenreden. Nicht einmal die Polizei blieb vom närrischen Treiben verschont – im Präsidium am Waidmarkt hatte sich die Zahl der Pappnasen schlagartig verdoppelt.
    Weiberfastnacht – eine ganze Stadt dreht durch, dachte Adolf Kaminski kopfschüttelnd. Dabei ist das erst der Anfang – wer weiß, wie es Rosenmontag hier aussehen wird. Bestimmt nicht normal, soviel steht fest.
    Er sah durch das Seitenfenster hinaus in den sintflutartigen Regen, der den Bahnhofsvorplatz unter Wasser gesetzt hatte. Der Minutenanzeiger der großen Uhr über dem Haupteingang rückte einen Strich weiter.
    Sieben Uhr fünfzig.
    Noch zehn Minuten bis zur Ankunft des Wien-Ostende-Expreß. Noch zehn Minuten, dann war der Mann mit dem Koffer in der Stadt.
    Jorge Gabriel Lorcaz, dachte Kaminski grimmig, du bist im Arsch. Du weißt es noch nicht, aber du bist im Arsch, im Arsch, im Arsch.
    Sein Blick wanderte zum Taschenbuchkeller, wo Kriminalkommissar Schmöller unter seinem Schirm trutzig dem Unwetter widerstand, und weiter zur Domplatte, wo die Kollegen Vosswinkel und Müller-Lindlar tapfer die Stellung hielten, obwohl der Regen auf sie niederprasselte, als wollte er sie erschlagen. Unten auf dem Bahnhofsvorplatz, am Rievkooche- Pavillon, hatte Jean Lehnhard Posten bezogen und blätterte zur Tarnung im durchweichten Sportteil des Kölner Express.
    Weitere Fahnder waren am Ausgang Breslauer Platz, an allen Nebenausgängen und auf dem Bahnsteig 8 postiert, wo in wenigen Minuten Jorge Gabriel Lorcaz aussteigen würde, im Gepäck einen Koffer voll Kokain.
    Kaminski lehnte sich zufrieden in seinem Sitz zurück; die Operation war perfekt vorbereitet. Der Kolumbianer hatte keine Chance.
    »Do leever Jott«, sagte Kriminalkommissar Heppekausen und beugte sich über das Lenkrad. »Die jecken Wiever sin do, Schäff!«
    Er wies mit dem Daumen auf den Haupteingang, aus dem sich in diesem Moment ein Schwall entfesselter Jecken ergoß: erwachsene Männer mit Pappnasen im Gesicht und lächerlichen Hütchen auf dem Kopf und vier fette Matronen in Micky-Maus-Kostümen, die johlten und lachten und im Regen tanzten, als wäre das Leben ein einziger Spaß und die Welt eigens zu ihrem Vergnügen erschaffen worden.
    Dann flog die Schwingtür erneut auf, und ein kleiner dicker Mann, der als einziger normal gekleidet war, wurde von einer jungen Blondine in Clownsmaske und rot-weiß gestreiftem Nachthemd aus dem Bahnhof gejagt. Sie klapperte mit einer riesigen Tapezierschere und kreischte wie wahnsinnig. Der kleine Dicke schlug mit seiner Aktentasche nach ihr und floh in panischer Angst Richtung Domplatte. Die mörderische Blondine blieb ihm dicht auf den Fersen.
    »Allmächtiger!« sagte Kaminski erschüttert.
    Heppekausen lachte. »Nä, wat ene bängliche Möp [1] . Da Tünnes möt us Berchhem komme. Ene kölsche Jong dät nit die Fleje maache. So wat es vill zo jefährlich. Die jecken Wiever künne so wat nit ob. Die künne so wat totalemang nit ob!«
    Der kleine Dicke hatte die rettende Treppe fast erreicht, als sich von oben eine schwarzhaarige Hexe auf ihn stürzte und ihm ihren Hexenbesen zwischen die Beine schob. Der Dicke stolperte und landete bäuchlings in einer großen Pfütze. Die Aktentasche flog im hohen Bogen durch die Luft. Dann war die Blondine mit der Schere über ihm.
    »Allmächtiger!« sagte Kaminski wieder.
    Ein schneller Schnitt, und die Blondine schwenkte triumphierend eine kastrierte Krawatte. Die Hexe sprang hinzu, packte den Dicken an beiden Ohren und drückte ihm einen Kuß ins aschfahle Gesicht.
    »Jlöck jehat«, meinte Heppekausen. »Nu kritte doch sin Bützche [2] . Ävver normalemang hädde mer us op et Schlemmste jefaß maache künne, Schäff. Normalemang sin die jecken Wiever janz biestich, wann son Tünnes die Fleje maache dät. Do jibts dann kinne Bützche, do jibts nix wigger wie Klöpp!«
    Der blonde Clown und die schwarzhaarige Hexe verschwanden mit der erbeuteten Krawatte im Bahnhof. Die vier fetten Micky-Maus-Matronen beendeten ebenfalls ihren Regentanz und huschten mit wippenden Mäuseschwänzchen die Treppe zur Domplatte hinauf. Der kleine Dicke kam langsam auf die
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