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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus
Autoren: Pierre Magnan
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und stieg auf. Er ergriff die beiden Antriebshebel und ruderte, zunächst mit Mühe, auf dem Gleis davon. Seine aufgeblähte Kleidung flatterte wie eine Fahne um ihn herum. Und so entschwand er auf seiner Geisterdraisine, wie ein Alptraum im Unwetter, hinter der nächsten Kurve dort hinten beim Bahnhof von Lurs, der in frischem Weiß erstrahlte.
    In diesem Augenblick mischte sich ein seltsames Geräusch in den Lärm des Flusses, der sein Geröll vor sich herschob. Durch den Sturm hindurch, der Pinien und Steineichen mit unheildrohendem Jaulen durchfuhr, drang von dort oben, von der Hochfläche von Ganagobie, das Geläut der Klosterglocke herunter, die zur Frühmette rief.
    Dieses schlichte Glockenläuten, das stark genug war, die entfesselten Elemente zu durchdringen, erinnerte die drei Männer daran, daß sie sich beeilen mußten.
    Und so stürzten sie, Seite an Seite, zu einem einzigen Leib verschmolzen, um sich Mut zu machen, auf das Haus zu. Die Imkerhüte, mit denen sie sich maskiert hatten, ließen ihre Köpfe viereckig aussehen wie bei unausgetragenen Föten. Die Klingen ihrer Sattlermesser blitzten im Mondschein wie von einer einzigen Hand geführt.
    Durch die Fensterluke hindurch schimmerte das ersterbende Herdfeuer.

    1
    MAITRE Bellaffaire, Notar in Peyruis, hatte eine Art von Erzengel vor sich; unter dem ausgewaschenen Trikot, das er statt eines Hemdes trug, zeichnete sich eine muskulöse Brust ab. Daß eine so breite Brust bei all den Gelegenheiten, die sich in vier Jahren Krieg geboten hatten, nicht von einer einzigen Kugel getroffen worden war, erfüllte den Anwalt mit Bewunderung. Es war überhaupt erstaunlich, daß einer da so gut erhalten wieder herauskommen konnte, aus diesen Schützengräben.
    Es fiel schwer, das Aussehen dieses Davongekommenen mit all dem in Einklang zu bringen, was über diese höllischen Gefilde geredet worden war, in die man um keinen Preis der Welt geraten durfte. Wie konnte einer von dort zurückgekommen sein, mit solch geschmeidigen Muskeln, mit einem Gesicht wie ein Frühlingsmorgen, ohne die geringste Falte …
    Séraphin Monge seinerseits betrachtete den Anwalt mit den Augen eines Waisenkindes. Er hatte sein Leben ohne jedes Vertrauen in die Menschen begonnen. Die Nonnen seines Waisenhauses hatten ihn nicht dazu erzogen. Er hatte Angst vor den Menschen, so wie sie sich vor dem Geistlichen, dem Herrn Bischof, dem Verwalter, dem hochherzigen Gönner fürchteten … Sie lebten in Demut vor diesen Autoritäten und brachten Séraphin bei, es ihnen gleichzutun. Und Gott selbst, den fürchteten sie ebensosehr wie die Menschen und erwarteten von ihm keine Gnade. Indem sie ihn als schrecklich und unbarmherzig darstellten, hatten sie ihm in den Augen Séraphins eine unumstößliche Glaubwürdigkeit verliehen.
    Nach einer solchen Erziehung hatten die vier Kriegsjahre nicht gerade dazu beigetragen, seine Sicht der Dinge zu bessern; die ständige Aussicht auf den Tod war für ihn nicht ohne einen gewissen Reiz gewesen.
    Andererseits war dieses Mißtrauen gegenüber seinen Mitmenschen nicht zu einer Waffe in Séraphins Händen geworden. Obwohl er die Menschen durchschaute, war er unfähig, sich vor ihren Machenschaften in acht zu nehmen, und so hörte er mit Engelsgeduld dem Notar zu, der sich in verwirrenden juristischen Erläuterungen erging. Wovon sprach dieser Notar eigentlich? Vom Krieg natürlich. Er seufzte leise.
    »Natürlich hätte ich … Wir hätten Ihnen Abrechnungen vorlegen müssen … Schon längst … Aber leider gab es da gewisse Schwierigkeiten … Ein Familienrat konnte nicht zusammentreten, aufgrund der Tatsache, daß Sie keine Familie mehr hatten. Da waren zunächst die dringendsten Bedürfnisse zu befriedigen: Sie brauchten eine Amme, Schutz, Hilfe und später eine Erziehung … Weiß Gott, man kann sagen, was man will, aber sie nehmen es von den Lebenden, diese Barmherzigen Schwestern, wenn jemand über Grundbesitz verfügt …«
    Mit angefeuchtetem Finger blätterte er geräuschvoll einen Stoß Papiere durch, die er über den Rand seiner Brille hinweg überflog.
    »Die Grundstücke sind selbstverständlich verkauft worden, das Haus hingegen …« Sein Gesicht nahm einen bekümmerten Ausdruck an. »Das Haus konnten wir nicht verkaufen …«
    »Warum nicht?« fragte Séraphin gleichgültig.
    »Warum nicht? Na aber, weil … Nun, Sie wissen doch Bescheid?«
    »Nein«, antwortete Séraphin.
    »Wie, Sie wissen es nicht? Aber Sie haben doch sicher Ihr
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