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Tod im Jungfernturm

Tod im Jungfernturm

Titel: Tod im Jungfernturm
Autoren: Anna Jansson
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    Wenn das Fernsehprogramm am Samstagabend eine andere Auswahl an romantischen Filmen geboten hätte, dann wäre Mona Jacobsson nicht der Beihilfe zum Mord verdächtigt worden. Wahrscheinlich wäre sie auch nicht von einer Schlange gebissen worden.
    Doch jetzt trat sie in die Sommerdämmerung hinaus, knöpfte die selbstgestrickte, hellblaue Jacke zu und atmete ein paarmal tief ein. Die Luft war kühler, als sie angenommen hatte, als sie am Küchenfenster gestanden und über den Friedhof geschaut hatte. An der weißgekalkten Hauswand rankten die Kletterrosen in rotgelben Kaskaden zum Ziegeldach hinauf. Die Pfingstrosen standen verblüht und schmutzigbraun in den Beeten, sie waren verbraucht wie das flüchtige Grün des Frühsommers. Sie mußte dringend im Erdbeerbeet Unkraut jäten, und der Kiesweg wuchs auch schon wieder zu, doch das mußte alles warten. Es gab jetzt viel zu tun, doch sie hatte nicht die Kraft, es anzupacken.
    Leicht, aber unbestechlich warf die Zeit ihren schwarzen Schatten auf die Sonnenuhr im Rondell. Jeder Tag enthielt genug eigene Schwere, eigene Qual. Zumindest hatte sie schon mal die Wäsche aufgehängt. Die grauweißen Bettücher flatterten im Wind, in der Mitte schon fadenscheinig. Nächte unruhigen Schlafs hatten ihre Spuren hinterlassen. Die unsichtbare Hand des Windes zog und zerrte an ihnen, rief zum Abenteuer eines wirbelnden Tanzes über die nächtlichen Wiesen. Doch die festen Wäscheklammern sorgten dafür, daß alles beim alten blieb, bei der zuverlässigen Ordnung des Grau.
    Und dennoch lag ein Sehnen in der Luft, das spürte sie jetzt, ein Sehnen nach Sinnlichkeit. Vielleicht verbarg es sich im Rosenduft, der über den Garten zog, oder im ablandigen Wind, der sich nicht schämte, an ihre nackten braunen Schenkel zu rühren, oder in der Haut, die bei der Berührung eine Gänsehaut bekam, in dem spielerischen Streichen über die Haare. Doch Mona ahnte noch nicht, wohin ihre Sehnsucht sie an diesem Abend tragen würde.

    Der Kiesweg zum Meer hinunter war von Roggen- und Rapsfeldern gesäumt. Im Graben neben dem Weg prangten Mohn, Gemeiner Natterkopf und Margeriten. Vom Kalkstaub gepudert, leuchteten sie samtig in der Abendsonne. Die fülligen Lippen der Löwenmäulchen verbargen Wollust, einen berauschenden Nektar.
    Wenn die Sehnsucht einen Geruch hat, dachte sie, dann ist es eine Mischung aus wildem Thymian nach dem Regen, Wiesenblumen und Meersalz. So hatte es gerochen, als er sie zum erstenmal auf der Wiese am Strand im Schutz eines alten, verlassenen Schuppens und einer Steinmauer genommen hatte. Er hatte sie wegen ihrer runden, hellblauen Augen Zichorienauge genannt. Sie war so verzweifelt jung gewesen, und seine Worte so schön und so anders. Die Worte hatten ihre Haut schon eingefangen und gestreichelt, lange ehe seine Hände sie berührten. Sie hatten ihre Augen mit Glanz und ihren Körper mit Sehnsucht erfüllt. Die Kühle der Nacht gegen die Hitze der Haut. Die Küsse, denen man nicht widerstehen konnte und die sie unweigerlich weitertrieben. Seine Hand, die zielgerichtet die Taille des Kleides aufknöpfte und sich einen Weg in ihre Unterhose bahnte. Erfahrene Finger, die wußten, was sie suchten. Der Tau, der fiel. Ihr Nein, das zu einem Ja verführt wurde. Sie sah seine Hose auf dem Stein. Wir müssen vorsichtig sein. Ein flüchtiger Gedanke nur, der von der Begierde des Augenblicks verschluckt wurde. Die unscharfen Züge des Gesichtes im Schatten über ihrem. Schmerz, mit Genuß vermischt. Seine entspannte Schwere, eine feuchte Kälte, die sich über dem Körper ausbreitete.
    Und als er sich gerade aus ihr zurückziehen wollte, rief jemand von oben vom Weg. Vater? Sie hatten sich dicht aneinander gepreßt. Still! Sein Arm war in einem festen Griff um sie erstarrt. Das Gehör war zum äußersten geschärft. Näherten sich die Schritte? Sie hatte den Herzschlag ihres Geliebten durch ihre Haut gespürt und nicht zu atmen gewagt. Wieder die Stimme, Vaters Stimme. Jetzt lauter. Sie hatte vor Angst geweint. In stiller Verzweiflung hatte sie zwischen Margeriten und Glockenblumen nach ihrer Unterhose gesucht. Auf dem Kleid war ein Blutfleck. Die Stimme erstarb, wie auch das Geräusch der Fahrradreifen auf dem Kies.
    Sie hatte ihr Kleid in der weißen Mondstraße des Meeres gründlich ausgespült, ehe sie durch die Sommernacht nach Hause lief. Die Tanzmusik vom Fest am Djupviken verklang allmählich. Die Haustür war schon zur Nacht verschlossen, aber sie hatte den
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