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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus
Autoren: Pierre Magnan
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befingerte jede Wand, strich mit der Hand über jeden rauhen Winkel, an dem er seine Haut seit seiner Kindheit einmal aufgekratzt hatte. Er streichelte die Wölbung eines Steins, der zu groß war, um gerade mit der Wand abzuschließen, und den man dennoch mit Gips überzogen hatte. An diesem Stein hatte er sich den Kopf aufgeschlagen, als ihn sein Vater eines Tages mit einem Fußtritt gegen die Wand befördert hatte. Er wußte nicht mehr warum …
    Was jedoch Monge vor allen anderen Dingen anzog, war der finsterste Winkel zwischen dem Kamin und der Stelle, wo die Reisigbündel lagerten. Dort hing an einer Schnur unter dem Bratspieß an der Wand, der nur an Weihnachten abgenommen wurde, ein Salzbehälter aus Tannenholz. Er war von einem fernen Vorfahren zu provisorischem Gebrauch zusammen- gebastelt worden, und sein Holz wurde nun seit vielleicht hundert Jahren dunkler und dunkler. Üblicherweise gab sich Monge damit zufrieden, sich vor dem Kasten aufzupflanzen, und wenn er dort stand und sich mit seinen klobigen Fingern das Kinn knetete, hatte man den Eindruck, als geriete er in noch tieferes Grübeln.
    An diesem Abend nahm er ihn nun plötzlich ab, diesen Salzbehälter. Er fuhr mit der flachen Hand über die dahinter liegende Stelle, die sich hell von der dunklen Wand abhob. Seine Stirn furchte sich in angestrengtem Nachdenken. Plötzlich bückte er sich. Er preßte seine Handflächen auf den Rand der Feuerstelle, dort, wo die Asche fast ganz erkaltet war. Zwischen den Fingern zerdrückte er einige Stückchen erloschener Holzkohle und schwärzte mit den Händen, die ihm als Kelle dienten, sorgfältig die Stelle hinter dem Salzkasten. Danach hängte er ihn wieder zurück.
    Der Girarde und dem Opa war keine einzige seiner Bewegungen entgangen. Als er sich ihnen wieder zuwandte, bemühten sie sich, seinen Blick aufzufangen; doch seine Augen waren blank wie die eines Pferdes.
    »Monge, wenn du dieses Mal wieder nichts hörst, dann mußt du schwer von Begriff sein!«
    Der Alte war halb aus seinem Sessel aufgestanden. Er drehte sich zur Tür hin, deren Falle unter den Stößen des Sturms im Schließblech klapperte.
    Es war, als habe das Haus vom Land abgelegt, als sei es ihm entwischt und gleite nun auf der Durance dem Meer entgegen. Aus dem allgemeinen Getöse war nur das Brausen der großen Bäume im Sturm herauszuhören. Was hätte man da sonst noch hören sollen?
    Nichtsdestoweniger trat Monge von neuem an die Fensterluke, um sich Gewißheit zu verschaffen. Am Ende des zuletzt verlegten Schienenstücks schimmerte eine Draisine mit Handantrieb schwach in der Dunkelheit, beide Antriebshebel hoch zum Himmel erhoben. Weiter hinten bürstete die gewaltige Strömung der Durance das halbverwelkte Weidenlaub gegen den Strich, dem Wind entgegen. Im Mondlicht trieb ein großer umgestürzter Baum auf dem Fluß dahin und zog zwischen den Fangarmen seiner Wurzeln kleine Strudel hinter sich her.
    Über den tobenden Fluten erschien auf der Fensterscheibe, vom Herdfeuer hingeworfen, das Bild der Girarde und des Würmchens an ihrer Brust. In ihrer Zartheit und Zerbrechlichkeit trotzte dieses Bild der Madonna mit dem Kinde der wilden Gewalt der Nacht. Es überdeckte flackernd die Windhosen, die sich bis auf den Grund der Strömung herabsenkten, Jagdhörnern gleich ihre Klagerufe ausstoßend.
    Gierig genoß Monge diese undeutlich hingeworfene Szene, denn unmittelbar, im hellen Licht des Tages, hätte er aus Scheu nur gewagt, dieses Schauspiel heimlich zu beobachten. Der Schein des Feuers, dem das Mondlicht entgegentrat, hob die Züge von Mutter und Kind scharf hervor. Und nun schien es, als hätten die beiden Lichtquellen, die des Herdes und die des Mondes, sich zusammengetan, um eine Wahrheit zum Vorschein zu bringen, die Monge sich nicht eingestehen wollte: Plötzlich traten auf dem Gesichtchen des Kindes die Züge wieder hervor, die es bei seiner Geburt gehabt und gleich wieder verloren hatte.
    Einen kurzen Augenblick lang schien es Monge, als schwebe zwischen der Draisine und ihm, zwischen der Durance und ihm, scherenschnittähnlich vom Strom abgehoben, das Gesicht eines unbekannten Mannes.
    Die Qualen, die ihn bedrängten, hatten Monge so sehr verwirrt, daß er sich noch vor wenigen Stunden, an ebendiesem Nachmittag, fast dazu durchgerungen hätte, den Zorme um Rat zu bitten. Dieser Zorme, das war einer, den man besser nicht aufsuchte. Schweigsam wie ein Rabe. Er tauchte plötzlich links von einem auf, ohne daß man vorher irgend
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