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Venezianische Versuchung

Venezianische Versuchung

Titel: Venezianische Versuchung
Autoren: MIRANDA JARRETT
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1. KAPITEL
    „Wenn eine Frau sich dem leichtfertigen Leben hingeben möchte, ist ein Aufenthalt in Venedig bestimmt nicht dazu geeignet, sie auf den rechten Weg zu bringen“, soll einst eine junge Frau zu dem Schauspieler Thomas Hull gesagt haben. Eine Äußerung, die so manchen englischen Gentleman dazu gebracht haben mag, nach Venedig zu reisen, um sich dort zu vergnügen.
    Venedig, Januar 1785
    J ahrhundertelang gab es in Venedig reichlich Gelegenheit sich zu vergnügen, und zwar zu allen Jahreszeiten. So auch in den Jahren 1784/85: Man kam nach Venedig, um die herrschaftlichen Paläste, die antiken Gemälde und andere Kunstschätze zu bewundern, um den berühmten Karneval zu erleben oder auch, um sich an lauen Tagen in einer überdachten Gondel mit einer Kurtisane zu amüsieren.
    Im Januar allerdings trafen nur wenige Besucher ein. Richard Farren beispielsweise, der 5. Duke of Aston, hatte die im Winter sehr beschwerliche Überfahrt von England nach Italien auf sich genommen. Jedoch nicht, um sich den vielfältigen Zerstreuungen hinzugeben, die eine Stadt wie Venedig zu bieten hatte. Die Liebe hatte ihn dazu gebracht, seine Heimat zu verlassen.
    Aston stellte den Kragen des warmen Reisemantels hoch, um sich gegen den scharfen Wind zu schützen. Er hasste diese kalten Windstöße, die so unerwartet über das Wasser fegten und ihn erschauern ließen. Doch obwohl er fröstelte, erheiterte es ihn, sich vorzustellen, was seine Freunde in London wohl über ihn dachten. Zweifellos hielten sie ihn für einen sentimentalen Dummkopf. Manche mochten sogar befürchten, er habe den Verstand verloren. Niemand außer ihm selbst glaubte, dass er für all die Mühen, die er auf sich genommen hatte, belohnt werden würde. Wahrscheinlich hatte man in den Klubs der englischen Metropole sogar Wetten abgeschlossen, die sich damit beschäftigten, wie groß seine Enttäuschung sein und wie rasch er die Heimfahrt antreten würde.
    Während er gespannt dem Hafen entgegenblickte, den sie bald erreichen sollten, genoss der Duke das Gefühl der Vorfreude in vollen Zügen. Es war ihm unmöglich gewesen, die Einsamkeit mehr als ein paar Monate lang zu ertragen. Weder in London noch auf seinem Landsitz Aston Hall war es ihm gelungen, sich von seinem Kummer abzulenken. So hatte er sich schließlich entschlossen, einfach zu tun, wonach ihm der Sinn stand. Gewiss war es unvernünftig, eine solche Reise anzutreten, wenn es stürmte und schneite. Aber wann wäre er je besonders vernünftig oder gar vorsichtig gewesen? Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Das war schon immer sein Motto gewesen, und er beabsichtigte nicht, sich ein anderes zu suchen.
    Er legte die Arme auf die Reling der kleinen Schaluppe und betrachtete die dunkle Linie am Horizont, die – wie er wusste – die Küste Italiens war. Mehrfach hatte man ihm versichert, es sei nun nicht mehr weit bis Venedig. Er sehnte sich danach, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben und sein beschwerliches Unternehmen zu einem guten Ende zu bringen. Ungeduld erfüllte ihn. Deshalb hatte er es auch vorgezogen, sich der feuchten Kälte an Deck auszusetzen, statt in seiner kleinen, ein wenig nach Fisch riechenden Kabine zu bleiben. Er war erschöpft, spürte jedoch deutlich, dass es ihm unmöglich gewesen wäre, unter Deck Ruhe und Entspannung zu finden.
    Nach all diesen Wochen, die er zu Lande und auf dem Meer unterwegs gewesen war, brannte er darauf, endlich an seinem Ziel anzukommen. Ein paar Stunden noch, dann war es geschafft! Seine Sorgen würden aufhören, ihn zu quälen. In der nächsten Nacht würde er endlich wieder ruhig schlafen können. Das hoffte er jedenfalls inständig. Denn wenn sich das Schicksal gegen ihn verschworen hatte, würde bald eine noch viel sorgenvollere Zeit für ihn beginnen.
    „Euer Gnaden wollen möglichst schnell in Venedig ankommen?“ Der Kapitän der Schaluppe war unaufgefordert zu ihm getreten. „Es gefällt Ihnen, dass wir so gute Fahrt machen, nicht wahr?“
    „Ja“, meinte Aston kurz angebunden. Er verspürte keine Lust auf ein Gespräch mit dem Kapitän. Das musste dieser doch an seinem abweisenden Tonfall merken.
    Doch der Mann warf nur einen kurzen Blick auf das Gesicht des Dukes, schob eine fettige Haarsträhne, die der Wind ihm ins Gesicht geblasen hatte, hinters Ohr und sagte: „Euer Gnaden haben großen Mut bewiesen, als Sie sich im Winter aufs Meer wagten.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust, so als wolle er sich warm
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