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Brücke der brennenden Blumen

Brücke der brennenden Blumen

Titel: Brücke der brennenden Blumen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Prolog
    Rot barg der Schnee den schwarzen Wald.
    Die junge Frau, die von ihren Eltern Tiraato genannt wurde, war auf
dem Weg zur Weisen Zetaete. Tief im Summenden Wald hatten ihr die jungen Männer
des Geweihwasserdorfes aus alten, unbeschriebenen Büchern eine Hütte errichtet.
Tief reichten die schneebeschwerten Zweige zu Tiraato hinab, tief sanken ihre
Schritte in den schneeverborgenen Weg. Auf ihrem Rücken trug sie, von zwei
gewobenen Decken gehalten und gewärmt, ihr dreijähriges Töchterchen, das krank
war und nicht schlucken konnte. Zetaete würde weiterwissen. Zetaete verstand
sich auf Heilkunst.
    Ein Rauschen umgab Tiraato, umkreiste sie näher, und sie
beschleunigte ihre Schritte. Etwas war im Wind und im rötlichen Glitzern der
Eiskristalle, etwas, das sich näherte und hechelte. Sie konnte niemanden sehen,
aber die Bartvögel waren geflüchtet, der schwarze Wald lag still und schattig.
Nur Tiraatos Stiefel knirschten und hinterließen eine Spur, die weit zu lesen
war.
    Mit einem Mal trat ihr das Tier in den Weg. Tiraato erschrak, vergaß
aber nicht die Gesetze der Höflichkeit.
    Â»Verzeiht, daß ich Euren Wald betrete«, sagte sie zu dem Tier. »Aber
ich muß zur Weisen Zetaete. Das Töchterchen ist krank.«
    Â»Die Weise ist tot«, sprach das Tier unumwunden. »Die Tiere des
Waldes fanden im Schnee keine Nahrung. Die Kaninchen mußten die Weise fressen.«
    Â»Das kann nicht sein!« widersprach Tiraato. »Die Kaninchen würden
niemals einen Menschen angreifen. Ihr wart das, oder einer von eurer Art!«
    Â»Es gibt keinen zweiten von meiner Art. Ich bin einsam, schönes
Kind.«
    Tiraato schaute zu Boden. Der Schnee war violett, wo der Schatten
des Tieres auf ihn fiel. »Das Töchterchen ist krank«, wiederholte sie leise.
»Was soll ich denn jetzt tun?«
    Â»Gib mir das Kind. Ich kann es heilen.«
    Â»Niemals! Ihr seid doch nur ein Tier!«
    Â»Aber du weißt, daß es meine Tochter ist,
nicht wahr, das weißt du doch?«
    Tiraato blickte immer noch nicht auf. »Ihr wart sehr schön, im
Traum, und ich sehr schwach. So weit würde es niemals noch einmal kommen.« Dann
wandte sie sich um und rannte. Sie wußte, daß alles Rennen zwecklos war, doch
sie wußte auch, daß Flüchten das war, was die Menschen des Geweihwasserdorfes
von ihr erwarteten.
    Das Tier war über ihr, kaum daß sie zehn Schritte zurückgelegt
hatte. Es zerfetzte die gewobenen Decken mit seinen Klauen und riß ihr mit den
Zähnen die Kleider vom Leib. Tiraato kämpfte und spürte Krallen in ihrem
Fleisch.
    Die Tochter rollte in den Schnee und begann zu weinen.
    Der rote Schnee verriet nichts von dem Blut.

1

Ohnmacht
    Es war nicht mehr zu verhindern gewesen: Fremde gingen ein
und aus im Haus des Mammuts .
    Es waren zwar lediglich zwei, aber Naenn, die nun hochschwanger war
und in einem Mond niederkommen würde, kam das vor wie eine sorgfältige Abfolge
von Einbrüchen. Zwei von außerhalb, die das unberechenbare Warchaim mit
hineinschleppten in das einzige sichere Versteck, welches das Mammut auf dem Kontinent besaß.
    Aber es ließ sich nicht vermeiden nach dem ersten Schrecken, zwei
trügerischen Tagen der Hoffnung und der Hilflosigkeit, die daraus erwuchs.
    Bestar – der jetzt wie ein Riese aussah, langhaarig,
vollbärtig, mit einer Segmentrüstung bekleidet und ein schorfiges Erzschwert
tragend – und Eljazokad – der seine Magie verloren hatte in der Höhle des Alten Königs und noch bleicher und zweifelnder
wirkte als sonst ohnehin schon – waren mitsamt dem
verwundeten Rodraeg mitten im Versammlungszimmer aufgetaucht. Cajin, der
jugendliche Hüter dieses Hauses, hatte bezeugt, wie sich aus dem Nichts heraus
wabernder Rauch und ein goldenes Leuchten bildeten, bis schließlich drei
Gestalten wie durch tiefgründig loderndes Rauchglas traten. Sie folgten zuerst
den Weisungen, die die Riesen ihnen gegeben hatten. Sie trugen Rodraeg nach
oben und weckten Naenn, die sich in Rodraegs Kammer aufgehalten hatte, um, wie
sie sagte, für ihrer aller sichere Rückkehr zu beten. Naenn wusch und salbte
den Bewußtlosen, dann öffnete sie mit einem Lied aus siebzehn Strophen das von
den Riesen zu einem Bernsteinball zusammengefügte Licht in Rodraegs Inneren, faltete
es auseinander wie die zwei Flügel eines Schmetterlingsmenschen, und in dieses
Licht, das ihr eigenes
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