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Zwischen den Gezeiten

Zwischen den Gezeiten

Titel: Zwischen den Gezeiten
Autoren: Michael Wallner
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knackte und rumpelte es, jede Sekunde rechnete sie damit, das Dach müsse sich heben und den Blick in die Baumkronen freigeben. Nebenan ein Geräusch, sie erschrak  – wer war außer ihr in der Hütte –, die Tür hatten sie schon aus den Angeln entfernt, mit drei Schritten stand Inga im Büro des Kommandanten. Tisch, Waschbord und Tresor waren abgeholt worden, neben dem Fenster hängte er sein Bild ab.
    Â»Inga –« begrüßte er sie so selbstverständlich, als komme die junge C. E. wie jeden Tag aus der Mittagspause.
    Â»Ende der Vorstellung.« Er zeigte sein seltenes Lächeln, sie begriff die Erleichterung, mit der er den Schauplatz des Sieges verließ, um so bald wie möglich die Plane von seiner Jolle zu schnüren und Segel zu setzen.
    Â»Jetzt werden Sie bald dort sein.«
    Er betrachtete die Linie des Schiffes. »Habe ich Ihnen gesagt, daß es ein Kimmkieler ist? Dreißig Fuß, angenehmer Tief- gang, sie liegt bei Theyrecroft, jetzt ist die beste Zeit.« Er hob den Kopf, über ihnen knirschte es in den Zargen, die hellgrau gestrichene Decke schwebte empor, das erstaunte Gesicht eines Pioniers tauchte auf.
    Â»Tschuldigen Sie, Sir«, stammelte der und versuchte sinnloserweise, auf dem Wandgesimse hockend, zu salutieren. »Wußte nicht, daß Sie –«
    Â»Weitermachen.« Der Kommandant beschirmte die Augen gegen die einfallende Sonne und klemmte die Photographie unter den Arm. Er und Inga verließen die Baracke gemeinsam. Bellend und winselnd wollte der Spaniel die Demontage seiner Hütte abwenden; der Commander faßte ihn am Halsband.

    Â»Wann ist die Beerdigung?« fragte er, während der Kran die Hälfte des Daches über ihren Köpfen vorüberschwenkte.
    Â»Morgen.«
    Â»Machen Sie’s gut, Inga.« Er schüttelte ihr die Hand und wandte sich zum Casino. Es war noch intakt, essen mußten sie bis zum Schluß.
    Während Inga durch den Sand in die andere Richtung ging, schnupperte sie an ihren Fingern, sie rochen nach Jasper. Drei Mann schraubten den stählernen Schlagbaum ab, zogen und zerrten am Bolzen, er glitt heraus, der Arm aus Metall fiel dumpf zu Boden. Ein Krieg wurde eingepackt, sie brachten ihn außer Landes.
    Die Krankenbaracke mit dem schwarzen H gab es nicht mehr, nur der Hagebuttenstrauch bezeugte, hier war Inga eines Nachmittags stehengeblieben, es war noch nicht Frühling gewesen, der bleiche Leutnant hatte auf der Terrasse gesessen und den Finger nach ihr gestreckt. Wie kommen Sie nach Hause – Zu Fuß – Dafür tragen Sie nicht die richtigen Schuhe. Inga senkte den Blick, auch diesmal trug sie die roten Sandalen, Geschenk ihrer Mutter, für deren zierlichen Fuß gemacht. Neben dem Strauch sank sie in die Hocke, umklammerte ihre Knie und weinte mit offenem Mund, weinte endlich, weil ihr die Mutter gestorben war. Durch die Tränen hindurch bemerkte sie den kleinen Zeh, er war aus der Schlaufe geschlüpft und quetschte sich seitlich hervor.

    Marianne besaß ein schwarzes Kostüm. Ihre Maße waren Inga vertraut, sie brauchte das Kostüm nicht anzuprobieren, öffnete die hintere Naht mit einer Rasierklinge, legte schwarzen Stoff bereit und begann zuzuschneiden. Kein Geräusch drang ins Zimmer, sie konzentrierte sich auf die Führung der Schere – wieso war die Mutter damals in Schwarz zu Eriks Prozeß gegangen, in jenem Kostüm, in dessen Rückenteil Inga nun ein Stück Stoff einsetzte? Vater im Hochzeitsanzug auf der Anklagebank, Marianne
als Witwe verkleidet, das Düstere war nie ihre Art; hätte sie seiner Sache in einem freundlichen Kleid nicht besser genützt? Ankläger, Richter und Beisitzer waren Briten gewesen, die Schrift wurde auf Englisch verlesen, Erik und der Verteidiger bekamen Kopfhörer. Der Mann hatte mit Vater nur flüchtig gesprochen, erledigte manchmal zehn Fälle pro Tag. Flüsternd hatte Inga der Mutter die Anklagepunkte übersetzt; bald wandte Marianne sich ab, sie wollte nicht wissen, was ihm zur Last gelegt wurde.
    Den Parteiaufmärschen sei Erik voranmarschiert, sagte der Ankläger und stolperte über das Wort Goldfasan. Der Verteidiger versuchte eine hohe Parteifunktion durch Dokumente zu widerlegen; man unterbrach ihn, forderte Erik auf, sich persönlich zu äußern. Dem verwirrten Vater fiel nichts ein, als die Uniform zu beschreiben, er schilderte die
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