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Zwischen den Gezeiten

Zwischen den Gezeiten

Titel: Zwischen den Gezeiten
Autoren: Michael Wallner
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Baracke am Ende des Flugfeldes zu durchsuchen? »Aber dann –« Der Gedanke entschlüpfte ihr. » – könnte ich es doch trotzdem genommen haben.«

    Er musterte sie, als frage er sich, ob ihm eine besonders raffinierte Person gegenüberstand, oder eine Geistesgestörte. »Der wahre Täter ist gefunden«, wollte er die Sache zum Abschluß bringen.
    Â»Wer?« Das Gespenst einer falschen Anschuldigung tauchte auf, die Befürchtung, statt ihrer müsse ein anderer einsitzen. Der Kommandant ging weiter, die Wache trat von der Tür zurück.
    Â»Wer?!« wiederholte Inga.
    Er trat über die Schwelle. »Kein Deutscher.«
    Hatte ein Brite die Tasche gefunden, behalten, war er entdeckt worden? Oder hatten sie die Baracke geräumt, war Ingas Versteck so aufgeflogen?
    Ein Bild wie im Spiegel, nächtliche Startbahn, ein Mann im Rollstuhl, mit kräftigen Stößen hievte er sich über das Feld, er hatte zum Spiel eingeladen, dort wo es niemand vermutete.
    Â»Lieutenant Hayden?« rief Inga dem Kommandanten hinterher.
    Er kam nicht ins Licht zurück, doch bemerkte sie den Blick – als wanderten Fragen über sein Gesicht –, ein Pärchen in seinem Camp, der Offizier und das Tippfräulein? Der Commander schien sich bewußt zu werden, die Wahrheit wäre nur unter Mühen herauszufinden, und Mühen hatte er stets gescheut. Übertönt von der Stimmenvielfalt rundum, fiel die Tür ins Schloß.
    Die Krokuswiese begann sich zu leeren, sie verschwanden in angrenzenden Gassen, eilten heim, um sich mit der Familie zu beraten, ihr altes Geld zu zählen und eine Vorstellung davon zu bekommen, worin sich das Davor und jenes unbekannte Danach unterschieden. Braun bedrucktes Papier wurde durch solches mit neuen Köpfen ersetzt, was bedeutete das für die kommende Mahlzeit, den nächsten Arbeitstag, wer waren die Gewinner? Während Inga mit kleinen Schritten in die Mitte des Platzes zurückkehrte, hörte sie einen sagen – Die Schweine von früher werden die Schweine von morgen sein, egal, womit sie bezahlen.
    Sie war wütend über sich selbst, da es ihr nicht gelang, die Welt ihrer Träume und die Wirklichkeit auseinanderzuhalten. Niemand, der den Leutnant kannte, hielte ihn wahrer Opferbereitschaft für
fähig, die Idee, er könnte ihretwegen gelogen, die Schuld auf sich genommen haben, war so abwegig, so romantisch unwahrscheinlich, daß sie stehenblieb, voll Trotz in den Kies stampfte und sich gegen die Stirn schlug.
    Â»Man glaubt, es ist das Ende.« Eine Frauenstimme. »Aber irgendwie geht es immer weiter.« Sie war alt, trug trotz des schönen Morgens einen Mantel mit abgeschabtem Kragen, lächelnd ging sie weiter.
    Verwirrt und unglücklich kehrte Inga in die Straße zurück, wo das Haus des Bestatters stand. Nebenbei streifte ihr Auge das Schaufenster einer Eisenhandlung, ein junger Mann kniete darin, von hinten näherte sich der Besitzer und stemmte ein Radiogerät in die Auslage. Er und der Angestellte platzierten es auf dem Samtkissen, verrückten das Arrangement, schienen noch nicht zufrieden. Mit den Augen fragte der junge Mann, wie es am besten sei. Inga war stehengeblieben, durch erhobenen Finger zeigte sie es ihm an. Poliertes Holzgehäuse, glänzender Chrom; auf der Senderauswahl standen Städte, die kaum jemand je bereisen würde. Bevor Inga davonging, sah sie in der Tiefe des Ladens gestapelte Waren, sie reichten fast bis zur Decke.

36
    D as Feuer brannte kraftlos, der Leutnant wunderte sich, wer es in der Hitze entzündet hatte. Dankbar für die ruhigen Momente, wartete er gerne, schlenderte im Salon auf und ab, die Finger glitten über den Lack des Flügels, er stützte sich auf die Ohrlehne eines Sessels und kehrte zum Kamin zurück. Dort im Erker hatte Marion ihre Gäste empfangen, Militärs der drei Mächte, Industrielle aus Bayern, amerikanische Wirtschaftsexperten – sie war berühmt dafür gewesen, als einzige in der britischen Zone französischen Cognac anzubieten. Wie Alec vorausgesehen hatte, war der Kontrollrat zum Diskutierclub verkommen, die Entscheidungen wurden woanders gefällt. Er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Amerikaner ihren Bundesgenossen vorausgeeilt waren und den Kontinent nach Gutdünken verteilten. Wann hatte sich diese Wendung angebahnt – mit Kriegseintritt, durch
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