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Zwischen den Gezeiten

Zwischen den Gezeiten

Titel: Zwischen den Gezeiten
Autoren: Michael Wallner
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zufrieden!« rief der entfernte Cousin aus der Gruppe.
    Â»Wie lange soll die Schikane noch weitergehen!« ergriff die Apothekerin Position. Um Erik formierten sich andere.
    Â»Bitte wahren Sie Respekt«, trat Henning dem Uniformierten entgegen.
    Verwirrt, zugleich alarmiert, schaute der Sergeant von einem zum andern, spürte Aufruhr, ohne dessen Grund zu durchschauen. Als sei es eine Rechtfertigung, zog er ein Päckchen aus der Brusttasche. In der schlagartigen Stille las er Ingas Namen von dem braunen Papier ab.
    Â»Ja?« Sie kniete neben dem Vater. Die Brille war ihm auf die Stirn gerutscht, der Mund bewegte sich lallend.
    Â»Sind Sie das?« fragte der Brite.
    Â»Ja.« Zögernd kam sie hoch.
    Â»Das schickt Ihnen Lieutenant Hayden.«
    Unwillkürlich streckte Inga die Hand aus. »Warum kommt er nicht selbst?« Sie fühlte das rauhe Papier.
    Â»Sein Zug –« Der Sergeant ließ den Gegenstand los. »Er rückt heute ab.«
    Als stünde niemand um sie, als liege ihr Vater nicht besinnungslos auf der Erde, starrte Inga die Sendung an. »Im Zug, nicht im Flugzeug?« murmelte sie.
    Â»Per Bahn nach Büsum«, antwortete der Sergeant. »Von dort zur See.« Er setzte das Barett auf, machte kehrt und winkte denen
beim Wagen, wieder einzusteigen. Gleichzeitig mit dem Startgeräusch schwang er sich auf den Sitz.
    Der Pfarrer beugte sich über Erik, stützte dessen Kopf, Henning und zwei weitere halfen dem Zitternden auf. Inga hielt das Paket in Händen, es war leicht, in seinem Innern rutschte etwas, machte ein helles Geräusch. Rundum erwartete man, daß sie den Vater hineinführte, mit ihm in der vordersten Reihe Platz nahm, daß der Pfarrer sich vor dem Sarg verbeugte, ans Pult stieg und die Zeremonie begann. Inga warf einen Blick ins Innere, Blumen bauschten sich, wo ihre Mutter lag, die meisten Plätze waren besetzt, einige zogen es vor, an den Seiten stehenzubleiben. Sie klemmte das Päckchen unter den Arm, drückte Eriks Hand und fragte, ob er bereit sei. Sie betraten die Halle, der Geruch der Blumen würgte sie, von allen beobachtet, gingen sie nach vorne.

    Das Land glühte vor Hitze, kein Hauch bewegte den Heidewald, nie hatte Inga die grünen Moore um diese Jahreszeit braun gesehen. Nur das Gras der Auwiesen war üppig und feucht. Sie stand auf der hinteren Plattform, fuhr hinaus, fort von allem Vertrauten – jeden Wald, jedes Röhricht, all die Schilfgürtel, die sich zwischen sie und die Stadt legten, empfand sie als Erleichterung.
    Schön war es gewesen und weihevoll, die Orgel erklang, sie hatten gesungen und geweint, der Pfarrer bemühte hohe Worte, um ihnen den Heimgang Mariannes bildhaft zu machen. Der Vater war Ehrengast in all der Ergriffenheit gewesen, wie ein Turm erhob er sich im Kirchenschiff. Während er Ermunterung erntete, schien es Inga, als würde er allmählich umgeschmückt, vom Totenvogel zum trauernden Goldfasan. Als der Sarg auf der Lafette vor ihnen herrollte, war Erik vorausmarschiert – wie vor Jahren –, das aschblonde Haar wehte, die Brille reflektierte Sonnenblitze, hinter ihm die schwarze Parade, und als sie um die Grube versammelt standen, hatte er die Hände gewohnheitsmäßig an die Hosennaht gelegt. Der bügelnde Nazi, mußte Inga trotz aller Ergriffenheit denken, da
stand er, wie einst zum Gruß der Blutfahne, während sie seine Frau in die Erde senkten. Der Pfarrer sprach den Segen, Erde prasselte auf das Holz, der uneinsichtige Bahnhofsvorsteher erhielt letzten Glanz, als er eine Rose aus seinem Garten in die Tiefe warf.
    Verkehrte Silhouette, der Kiefernwald spiegelte sich im See, vielleichtwaren in seinem Dickicht die Johannisbeeren schon reif. Wacholderbäume und Sandbänke zeigten die Nähe zum Haff, hölzerne Windmühlen, bevölkert von Möwen – seit dem Frieden war Inga ununterbrochen auf dem Trockenen gesessen –, wo es das Meer gab! Zerklüftete Abbrüche, struppige Dünen und Marschen mit Salzgras, dahinter endloses Wasser; am Fenster des klappernden Zuges meinte sie schon den Wind zu spüren, die Wolkenherden, die von See kamen und im Landesinneren verschwanden. Auch wenn sie sicher war, daß die Bucht noch viele Windungen entfernt lag, schweifte der Blick ungeduldig den Horizont entlang, suchte in jeder Erhebung den Beginn der Dünenlandschaft. Einmal verwechselte sie eine Windmühle
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