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Zwischen den Gezeiten

Zwischen den Gezeiten

Titel: Zwischen den Gezeiten
Autoren: Michael Wallner
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mit dem erwarteten Leuchtturm.
    Inga wußte nicht, ob der Leutnant im gleichen Zug saß, auch nicht, warum er seine Heimreise zu Land begann. Sie hätte sich durch Soldatenhorden drängen müssen, um ihn aufzuspüren; in Gängen und Abteilen wurde die Heimkehr bereits ausgelassen begossen. Inga verharrte auf der schaukelnden Plattform, die Sonne stand hoch, obwohl es bereits Nachmittag war – sie öffnete ihre Tasche, in Watte gebettet lag die Perlmuttspange in dem Päckchen. Sie hatte der Großmutter gehört, die ihr langes Haar damit hochsteckte, später Marianne, nun war sie zu Inga zurückgekehrt.
    Der Zug verlangsamte schon vor dem Bahnhof, ruckartig schob sich der Name Büsum ins Fenster, es gelang Inga, vor den anderen auf den Bahnsteig zu schlüpfen, sie taumelte aus dem Gebäude. Vorbei am roten Kirchturm, den Silos, die ihn überragten, lief sie über eine holzgedeckte Brücke, Straßen entlang, ohne sie wahrzunehmen. Die ersten Pfahlbauten kündigten das Wasser an, sie rannte die bebaute Düne hoch und entdeckte den Hafen. Riedgras und Schilf, vom Wind schräg gelegt, und dahinter, wie aus einem
Kuchen herausgeschnitten, zwängte sich die Fahrrinne durch das Wasser. Brocken aus Fels und Beton hinderten die Bucht daran, sich wieder zu schließen. Dampfschlepper lagen an den Landungsstegen, Seenotkreuzer, Geleitschiffe, Minensucher dicht an dicht, dazwischen nahmen sich die heimischen Segler klein und verloren aus. Jedes Schiff war beflaggt, über den meisten wehte der britische Wimpel.
    Inga lief den Quai hinunter, überall wurde verladen, die mit Schablonen gemalten Aufdrucke der Kisten waren ihr vertraut, tausendfach hatte sie solche Buchstaben- und Zahlenkombinationen in Listen geschrieben. Leichte Gewehre, Lafetten, Artillerievorsätze, Munition, Eßgeschirr, eine Suppenkanone, Kippbräter, Backöfen wurden am Stahlseil nach oben gehievt und verschwanden im Schiffsrumpf. Nach zweimaligem Auf und Ab an der Mole war sie sicher, nur ein einziges Schiff diente an diesem Tag als Mannschaftstransport, ein alter Frachtpott mit dem Namen Lloyd Manoline. Gutgelaunt standen Männer den Pier entlang, in kurzen Hosen, die Jacken auf das Gepäck geschnürt, Waffen lässig über der Schulter, einige hatten ihre Seesäcke übereinandergeworfen und lagerten mit geschlossenen Augen in der Sonne. Sergeants und MP patrouillierten, keiner fand es der Mühe wert, die Truppenverlegung reglementgemäß abzuwickeln; der Abschied der Briten aus Deutschland spielte sich nicht als Heerfahrt ab, eher wie eine sommerliche Kanalpartie. Einige Stunden auf dem stahlblauen Wasser, dann nahm ihre Insel sie auf, wo alle sich wieder in Bürger verwandeln durften.
    Inga eilte zur Hafeneinfahrt zurück – wer zum Pier wollte, mußte hier durch. Gleich den Frauen und Müttern, die sie stehen hatte sehen, wenn Transporte entlassener Kriegsgefangener ankamen, stellte sie sich an eine Mauer und schaute jedem Vorbeieilenden ins Gesicht, der die rechte Uniform trug und das passende Rangabzeichen. Mit welcher Heiterkeit sie vorbeiströmten, Krieg und Besatzung waren gestern, sie drängten ins normale Leben, übermütig sprachen viele Inga an, lockten sie mitzukommen ins Vereinigte
Königreich. Die Einheimischen, Fischer und Ordnungskräfte, Büsumer, die herbeigeeilt waren, standen mit mißtrauischen Gesichtern abseits, mancher wandte der Prozession den Rücken zu und guckte doch über die Schulter. Andere waren für den Abschied von weither gekommen, lachten und weinten mit den Davonziehenden und schworen sich das ersehnte Wiedersehen. Hand in Hand gingen Paare schweigend, abgesondert vom Strom der Fröhlichen, er in Uniform, sie im schönsten Kleid. Inga konnte nicht anders als sich vorzustellen, wie zwei andere auf diese Weise den Hafen erreichten, der bleiche Leutnant und das Fräulein vom Camp, traurig und verschreckt durch die Endgültigkeit. Eine Bekanntschaft wie ihre verlangte nicht mehr als ein knappes Lebwohl, sagte sie sich, klappte die Spange auf, zwängte sie zwischen die Zähne, raffte ihr Haar zum Knoten und steckte es fest.
    Er kam langsam, das Gepäck geschultert, Jacke und Hemd geöffnet, er redete mit einem Militärpolizisten, der den Gummiknüppel unter die Achsel steckte. Während Inga das Duo betrachtete, rannte ein zweiter MP über die Hügelkuppe, als fürchte er, den
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