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Zurück nach Hollyhill: Roman (German Edition)

Zurück nach Hollyhill: Roman (German Edition)

Titel: Zurück nach Hollyhill: Roman (German Edition)
Autoren: Alexandra Pilz
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Rucksack auf die Garderobenbank und machte sich auf den Weg zum Kreuzverhör. Nach der Begegnung mit Laura und Lukas kam ihr diese hier plötzlich viel einfacher vor.
    »Was hat Felicitas zu dem Brief gesagt?«, fragte ihre Großmutter ohne Umschweife, als Emily sich in die weichen Polster der Eckbank sinken ließ.
    »Sie hält das für das größte Abenteuer meines langweiligen Lebens und verlangt ein Videotagebuch, weil sie nicht mitkommen kann.«
    Ihre Großmutter schnaubte. Sie murmelte etwas, von dem Emily nur »Kind« und »Nichts ernst nehmen« verstand, dann drehte sie sich um – eine dampfende Tasse heißer Schokolade in jeder Hand – und setzte sich zu Emily an den Tisch.
    Diese musste unwillkürlich grinsen. »Liebste Omi, ist das etwa ein Erpressungsversuch? Bin ich dafür nicht etwas zu alt?«
    Ihre Großmutter war seit jeher der Meinung gewesen, heiße Schokolade könne ein Kind dazu bewegen, alles zu tun – oder eben bestimmte Dinge zu lassen.
    Sie seufzte. »Du hast dich also entschieden. Wann wirst du fahren?«
    »Übermorgen geht ein günstiger Flug«, antwortete Emily ohne zu zögern. Ja, sie hatte sich entschieden. Sie würde fahren. »Je schneller ich starte, desto eher bin ich wieder hier«, fügte sie hinzu.
    »Mir ist nicht wohl dabei«, begann ihre Großmutter erneut, »du bist noch keine achtzehn, und ich möchte eigentlich nicht, dass du ganz allein …«
    »Aber Omi, das hatten wir doch schon«, fiel Emily ihr ins Wort. Sie musste sich beherrschen, um ihre Stimme nicht allzu ungeduldig klingen zu lassen, aber es war wahr: Diese Diskussion hatten sie bereits gestern Abend geführt, und Emily wollte sie nicht noch einmal lostreten. »Mama wollte, dass ich fahre«, wiederholte sie dennoch. »Außerdem bin ich fast achtzehn, wie du sehr wohl weißt.«
    Ihre Großmutter seufzte, dann nickte sie und wühlte ein kleines, glänzendes Knäuel aus ihrer Jackentasche, das sie vor Emily auf dem Tisch platzierte.
    »Was ist das?«, fragte Emily neugierig. Sie war dankbar für die Ablenkung, auch wenn sie spürte, dass ihre Großmutter noch nicht hundertprozentig aufgegeben hatte.
    »Etwas, das deiner Mutter gehört hat. Ich wollte es dir gestern geben, aber … es war wohl alles ein bisschen viel.«
    Emily griff nach dem Gegenstand und entwirrte ein goldenes Kettchen, das vermutlich fürs Handgelenk vorgesehen war. Es wirkte uralt, sehr schlicht und robust, mit einem Verschluss, der aus einer kleinen, einst goldfarbenen Kugel bestand, die sich grob und gebraucht anfühlte. Erst als Emily sie ganz nah vor ihr Gesicht hielt, konnte sie die hauchdünne Verzierung erahnen, die darauf eingekerbt war – so dezent und ineinander verschlungen, dass sie sich mit bloßem Auge unmöglich entziffern ließ.
    »Wow«, hauchte sie und sah ihre Großmutter fragend an.
    Diese zögerte einen Moment und faltete ihre Hände um die Kakaotasse herum. Sie sah müde aus, fand Emily, unter ihren teddybraunen Augen zeichneten sich schwarze Schatten ab, und ihre normalerweise rundlichen Wangen wirkten auf einmal so schmal, so zerbrechlich.
    »Em, ich habe die Kette in dem Schreibtisch deiner Mutter gefunden«, begann sie. »Sie lag auf dem Brief, in einer kleinen Schatulle.« Sie sah aus, als wollte sie noch etwas hinzufügen, presste dann aber ihre Lippen aufeinander. Emily ließ die Kette sinken und legte stattdessen eine Hand auf die ihrer Großmutter.
    »Du dachtest, sie sei von Papa, oder?«, fragte sie sanft. »Wenn du sie behalten möchtest, verstehe ich das, es ist nur natürlich, dass du …«
    »Mach sie auf.«
    »Was?«
    »Die Kette – mach den Verschluss auf.«
    Emily beschlich ein ganz merkwürdiges Gefühl, ein Prickeln, das sich über die gesamte Länge ihrer Wirbelsäule auszubreiten schien. Sie nahm das Schmuckstück zwischen ihre Finger und drückte auf den kleinen Knopf, der offenbar die beiden Hälften des runden Verschlusses zusammenhielt. Er sprang sofort auf, und ihre Großmutter holte japsend Luft.
    »Omi?«, fragte Emily verunsichert. Sie hielt ihr die Kette hin.
    Ihre Großmutter schüttelte den Kopf. »Seit ich das Armband habe«, erklärte sie, »verwahre ich es in der Schublade meines Nachttisches auf.« Sie sagte diesen Satz weniger, als dass sie ihn ausatmete, so, als habe sie seit ewigen Zeiten darauf gewartet, ihn loszuwerden. Emily atmete ein. »Ich hätte die Kette so gern getragen«, fuhr sie fort, »aber der Verschluss ließ sich nicht öffnen.« Sie schluckte und sah Emily mit großen
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