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Zurück nach Hollyhill: Roman (German Edition)

Zurück nach Hollyhill: Roman (German Edition)

Titel: Zurück nach Hollyhill: Roman (German Edition)
Autoren: Alexandra Pilz
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1
    E mily hatte den Brief bestimmt schon Dutzende Male gelesen, aber die Worte aus Fees Mund zu hören, bescherte ihr eine Gänsehaut.
    »Okay, stopp! Lies den letzten Absatz noch mal«, forderte sie ihre Freundin auf und rieb sich mit den Handflächen über die Arme.
    »Deshalb bitte ich dich«, wiederholte Fee und warf Emily über den Rand ihrer schwarzen Hornbrille einen bedeutungsvollen Blick zu, »nach Hollyhill zu reisen, das Dorf, das viele Jahre meine Heimat war. Es liegt im Dartmoor. Du wirst es finden.« Den letzten beiden Sätzen verlieh sie eine übertrieben unheilvolle Stimme, bevor sie die zwei Seiten grinsend neben ihre Cappuccino-Tasse legte und langsam den Kopf schüttelte.
    »Ehrlich, Em«, seufzte sie. »Das ist das Aufregendste, das ich seit ewigen Zeiten gehört habe.« Und ein bisschen weniger ehrfürchtig: »Ich kann nicht fassen, dass du mir den Brief so lange vorenthalten hast!«
    »Fee, Omi hat ihn mir gestern Abend erst gegeben.«
    »Das sind genau neunzehn Stunden, sechzehn Minuten und …« – sie schielte auf die imposante Bahnhofsuhr, die über der Bar des Cafés thronte – »… einundzwanzig Sekunden. Schon mal was von Mobiltelefonen gehört?«
    Emily verdrehte die Augen. Die Uhr besaß gar keinen Sekundenzeiger, aber Fee war eben schon immer eine Drama-Queen gewesen. Und zwar schon im Kindergarten.
    »Okay, Fee, Konzentration jetzt«, befahl Emily streng, ohne auf deren Vorwurf einzugehen, und hob dann eine Hand, um an ihren Fingern die einzelnen Stufen ihrer Misere herunterzuzählen.
    »Erstens: Meine Mutter, die gestorben ist, als ich vier Jahre alt war, schreibt einen Brief, von dem sie möchte, dass ich ihn erst zu meinem Schulabschluss bekomme.«
    »Statt eines Sportwagens quasi«, sagte Fee. »Kleiner Spaß.« Sie grinste Emily an.
    »Zweitens«, fuhr diese ungerührt fort, »meine Großmutter findet den Brief nach dem Unfall meiner Eltern in Mamas Sekretär und hebt ihn auf, um ihn mir dann am Abend der Notenvergabe zu überreichen.«
    »Pünktlich wie ein Paketzusteller.«
    »Fee …«
    »Sorry, Em, aber mal ehrlich: Du machst ein Gesicht, als hätte dir jemand das Müsli versalzen, und dazu besteht nun wirklich kein Grund. Sieh es doch mal von der positiven Seite«, schlug sie vor. »Nach so vielen Jahren bekommst du ganz unerwartet die Chance, etwas über deine Eltern zu erfahren. Das ist doch Wahnsinn!«
    Emily ließ ihre Hand sinken. »Wahnsinn ist«, erklärte sie spitz, »dass meine Mutter offenbar nicht einmal meinem Vater etwas von diesem Dorf erzählt hat. So stand es zumindest in dem Brief. Und natürlich wusste Omi auch nichts davon.« Sie schwieg einen Moment und fuhr dann nachdenklich fort. »Ich verstehe gar nichts mehr. Warum diese Geheimniskrämerei? Und warum um Himmels willen hat sie diesen Brief schon geschrieben, bevor ich überhaupt geboren war? Warum … oh – autsch!«
    Fee hatte ihr auf die Hand geklatscht und strafend eine Braue hochgezogen. »Kein Grund, sich die Fingernägel abzubeißen! Und kein Kaffee mehr für Emily! Ich bestell dir einen Schoko-Milchshake, der beruhigt die Nerven.«
    Inzwischen war es richtig voll geworden in ihrem Stammcafé in Haidhausen, und Fee fuchtelte wild mit den Armen in der Luft herum, um den abgehetzten Kellner auf sich aufmerksam zu machen. Das »Voilà« lag ziemlich genau in der Mitte zwischen ihren beiden Wohnungen, und während der Schulzeit hatte sich Emily fast jeden Nachmittag dort mit Fee getroffen, um Hausaufgaben zu erledigen. Nun, nachdem beide ihre Abiturprüfungen hinter sich hatten, beließen sie es erst einmal bei dem Treff. Kaum zu fassen, dass sie in Zukunft nicht mehr jeden Tag zusammen verbringen würden.
    »Fakt ist«, erklärte Fee nun entschieden (nachdem sie den armen Kellner unter Emilys entsetztem Blick tatsächlich am Handgelenk festgehalten hatte, um ihre Bestellung aufzugeben), »du musst da hin! Ich meine, du wusstest doch sowieso nicht, was du mit den nächsten Wochen bis zur Zeugnisausgabe anfangen solltest und – bitteschön – England! Grüne Wiesen, grasende Schäfchen und Regenschirme in allen Farben und Größen.« Sie kicherte herzhaft über ihren eigenen Scherz und nahm dann einen ebenso beherzten Schluck von ihrem Kaffee. »Deine Großmutter ist einverstanden?«
    »Nun ja, sie ist nicht gerade begeistert …«
    Fee seufzte. »Ach, Em, es wird wahnsinnig aufregend werden«, erklärte sie verträumt, ohne auf Emilys Einwand einzugehen. »Ich meine, Hollyhill klingt nicht
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