Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zum Glück Pauline - Roman

Zum Glück Pauline - Roman

Titel: Zum Glück Pauline - Roman
Autoren: C.H.Beck
Vom Netzwerk:
zu mögen. Wundervolle Jahre hatte ich in dieser seelenlosen Enge verlebt, und es machte mich traurig zu sehen, wie der Wettbewerb dieses Glück allmählich zerstörte. So war es nun mal, die Welt hatte sich verändert. Effizient sein. Produktiv sein. Rentabilität. Man kämpfte gegen all die neuen Dienstanweisungen. Die nächste Generation, ausgehungert von der Arbeitslosigkeit, robotisiert von den neuen Technologien, befand sich auf dem Vormarsch. All das erzeugte enorm viel Stress. Vorbei die Zeit, in der man am Freitagabend noch einen Drink bei einem Kollegen nahm. Es regierte das Misstrauen. Freundschaftliche Beziehungen galten geradezu als suspekt. Nach Jahren der Unbekümmertheit glich das Berufsleben nun einem Land unter fremder Besatzung, und ich fragte mich, ob ich mich dem Widerstand anschließen oder kollaborieren sollte.
    Bei meiner Ankunft an diesem Morgen sprang ich in den Aufzug, der mich in den siebten Stock hinaufbrachte, wo die Besprechung stattfand. Auf dem Weg nach oben musterte ich mich in dem großen Spiegel, der den Leuten dazu diente, sich noch einmal die Krawatte gerade zu rücken, die Haare oder den Rock glatt zu streifen. Ich stellte erneut fest, dass ich ein dramatisches Bild abgab, aber mir fiel noch ein viel wesentlicheres und sonderbareres Detail auf: ein Schweißtropfen. Es war das erste Mal, dass ich – ohne mich körperlich angestrengt zu haben – schwitzte. Einen Augenblick betrachtete ich die Perle an meiner Schläfe und wischte sie dann weg. Als ich aus dem Aufzug stieg, lief ich direkt Gaillard in die Arme.
    «Ah, da bist du ja. Zum Glück sind die Japaner auch später gekommen, so hast du nichts verpasst.»
    «Ja … prima …»
    «Und was machen deine gesundheitlichen Probleme? Ich hab gehört, du warst in der Notaufnahme.»
    «Ach ja, danke, geht schon wieder. War falscher Alarm.»
    «Super, aber du kannst uns ja auch nicht einfach im Stich lassen. Wir brauchen dich hier, alter Schwede!»
    Bei dem letzten Satz hatte er mir auf die Schulter geklopft. Zwei alte Freunde, hätte man meinen können, und seine Sorge um mich wirkte echt. Einen Augenblick lang dachte ich, vielleicht hatte ich unser Verhältnis falsch eingeschätzt. Er schien sich wirklich zu freuen, dass ich wieder da war. In dieser Besprechung ging es um ein riesiges Wiederaufbauprojekt in Fukushima. Osikimi und seine Kollegen waren angereist, um die finanzielle Seite der Angelegenheit zu regeln. Gaillard und ich hatten zusammen ein Angebot ausgearbeitet. Bei so einer entscheidenden Sitzung war Jean-Pierre Audibert, unser Chef, natürlich auch mit von der Partie. Audibert war ein ganz typischer Chef, der manchmal so tat, als nehme er am Leben seiner Angestellten Anteil, obwohl er zu anderen Menschen eigentlich gar keine Beziehung hatte. Er war zum Chef wie geschaffen. Als Kind hatte er den Privatunterricht genossen, der ihn auf die Eliteuniversitäten des Landes vorbereitete. Als er dann die führende Wirtschaftshochschule besuchte, ließ er sich ein wenig gehen. Er hielt den ständigen Druck nicht aus und fing an zu trinken und Marihuana zu rauchen. Doch bald sah er ein,dass er für Abstürze nicht sonderlich begabt war, und besann sich auf seine angeborene Disziplin. Er hatte ein Leben lang gerade gestanden. Nicht einmal sein schmaler grauer Schnurrbart, der irgendwie englisch anmutete, wich von dieser Geradlinigkeit ab.
    In wichtigen Momenten konnte Audibert natürlich auch herzlich sein. Den Japanern war die Sache richtig peinlich. Zu-spät-Kommen ist in Japan eine der äußersten Formen der Unhöflichkeit. Als er sie begrüßte, machte Audibert einen kleinen Spaß und meinte, er rechne ihnen die Anstrengung, die sie unternommen hätten, sich an unsere Sitten und Gebräuche anzupassen, hoch an. Er deute die Verspätung als «Hommage an Frankreich». Alle lächelten ein wenig verkrampft. Mehr verdiente sein furchtbar typischer Verhandlungshumor auch nicht. Immerhin trug er zur Entspannung der Atmosphäre bei, als es losging. Wir gingen methodisch vor und erörterten die Einzelheiten des ehrgeizigen Projekts Punkt für Punkt. Total konzentriert auf meine Akte, vergaß ich meine Rückenschmerzen und fühlte mich rundum wohl, als einer von Osikimis Beratern (der, der französisch sprach) mir plötzlich ins Wort fiel:
    «Entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche, aber ich verstehe nicht, wie Sie zu diesem Resultat kommen.»
    «Zu welchem Resultat, bitte?»
    «Bei dem Einkaufszentrum.»
    «Ach so …»
    «Die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher