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Zum Glück Pauline - Roman

Zum Glück Pauline - Roman

Titel: Zum Glück Pauline - Roman
Autoren: C.H.Beck
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Angst, aber er würde sie beruhigen. Hübsche Vorstellung, mit ihm in Urlaub zu fahren.
    «Sie haben Glück. Heute ist nicht viel los.»
    «Ah … so ein Glück.»
    «Die Leute warten oft vier oder fünf Stunden. Manchmal sogar acht.»
    «Dann hab ich ja wirklich Glück …»
    «Also, was kann ich für Sie tun?»
    «Ich hab seit gestern starke Rückenbeschwerden.»
    «Haben Sie die oft?»
    «Nein, das ist das erste Mal.»
    «Haben Sie sich besonders angestrengt?»
    «Nein, eigentlich nicht. Das ist einfach so passiert. Gestern. Beim Essen.»
    «Worüber haben Sie sich unterhalten? Haben Sie sich beim Reden irgendwie verkrampft?»
    «Nein … das kann nicht sein. Es waren ganz normale Gespräche.»
    «Stehen Sie gerade unter besonderer Anspannung?»
    «Schon ein bisschen.»
    «Stress ist die häufigste Ursache von Rückenschmerzen. In diesem Teil des Körpers nisten sich die Sorgen ein.»
    «Aha …»
    Das war wahrscheinlich sein Standardspruch bei Rückenschmerzen, der eine Ausnahmesituation fast normal erscheinen ließ. Ein Angestellter, der unter Druck steht, das ist nichts Ungewöhnliches. Die Menschheit ist eine Armee der Angsterfüllten. Vollkommen logisch.
    «Bitte oben freimachen und auf den Bauch legen.» Ich gehorchte. Als ich das letzte Mal diese Stellung eingenommen hatte, war ich mit Élise auf Thailandreise gewesen. Eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren rieb mich mit ätherischen Ölen ein und massierte mich. Einen krasseren Gegensatz zur augenblicklichen Lage konnte ich mir kaum vorstellen. Eine Weile tastete der Arzt wortlos meinen Rücken ab. Sein Schweigen erschien mir äußerst beredt. Endlich sagte er etwas:
    «Ist das die Stelle, wo es wehtut?»
    «Hm … na ja … so ungefähr.»
    «Verstehe … verstehe …»
    Warum sagte er zweimal «verstehe»? Das ist immer ein schlechtes Zeichen, wenn die Leute Dinge zweimal sagen. Es kam mir so vor, als wolle er Zeit gewinnen, bevor er den Urteilsspruch verkündete.
    «Na gut … wir machen mal ein paar Röntgenaufnahmen. Vielleicht hilft uns das weiter …»
    «Das hilft … wozu?»
    «Um zu einer Diagnose zu kommen.»
    «…»
    «Sie können gleich in die radiologische Abteilung gehen.»
    «Das ist ein bisschen schwierig, ich hab nämlich eine wichtige Besprechung heute Morgen. Kann das nicht bis heute Abend oder morgen Vormittag warten?»
    «Na ja, sicher … aber lassen Sie sich nicht zu viel Zeit …», riet er in einem Ton, der mich alarmierte, da er die Dringlichkeit der Angelegenheit ganz offensichtlich zu vertuschen suchte. Ich bemühte mich, ruhig Blut zu bewahren und tapfer die tausend finsteren Gedanken zu verscheuchen, die mir durch den Kopf schossen. Ich bedankte mich sogar bei ihm, bevor ich mechanisch mein Hemd überstreifte. Als ich in der Tür stand, hoffte ich, er würde noch ein beruhigendes Wort sagen. Ich schaute ihn an wie ein Hund, der um einen Knochen bettelt. Aber ich bekam keinen. Der Doktor war in Gedanken schon woanders. Über andere Patienten gebeugt, über andere Rücken. Es war ein fast demütigender Moment.
    Am Empfang bekam ich einen Termin für den nächsten Morgen. Die Schwester verstand mich nicht recht, ich musste mein Anliegen mehrmals wiederholen. Mir blieben die Worte im Halse stecken. Ich fühlte mich so schlecht. Immer wieder dachte ich an die Begegnung mit dem Arzt. Er hatte nicht «das ist nichts Schlimmes» oder «Sie sind nur ein bisschen verspannt» gesagt. Er hatte erst lange geschwiegen und dann verkündet, dass Röntgenaufnahmen gemacht werden mussten. Dieser Mann sah den ganzen Tag nichts anderes als Rücken. Er kannte sich mit Rücken besser aus alssonst irgendjemand, und er hatte beschlossen, dass ich noch nicht fertig war. Schlimmer noch, er hatte davon gesprochen, dass man
zu einer Diagnose kommen
musste. Das hieß, er hatte ein Problem festgestellt, denn er musste zu dieser Diagnose erst noch kommen. Das war also erst der Anfang. Überhaupt: Diagnose hörte sich gar nicht gut an. Ich konnte das nicht anders verstehen. Wenn man etwas diagnostiziert, dann immer eine Krankheit. Diagnose klang wie der Anfang vom Ende.
    Ich versuchte mich zu fassen. Offensichtlich sah ich alles schwarz. Meine Angst verzerrte die Wirklichkeit, ich fantasierte mir die Befangenheit des Arztes zusammen. Er hatte einfach ganz normal und entspannt mit mir geredet, wie man es mit Patienten, die nichts Schlimmes haben, eben tut. Für ein paar Augenblicke wiegte ich mich in dieser beruhigenden Vorstellung, um dann erneut in
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