Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zum Glück Pauline - Roman

Zum Glück Pauline - Roman

Titel: Zum Glück Pauline - Roman
Autoren: C.H.Beck
Vom Netzwerk:
gesagt wegen deinem Rücken. Keine Sorge, die Japaner kommen auch ein bisschen später. Wir warten auf dich. Bis dann.» Ich hasse Leute, die «bis dann» schreiben. Oder zumindest hasste ich an diesem Typen einfach alles. Mit jedem anderen Gruß hätte er dieselben Ekelgefühle in mir hervorgerufen. Élises Anwesenheit dämpfte zum Glück die in mir aufsteigende Wut. Sie hatte das Radio angemacht. Die Lieder der Vergangenheit wiegten uns in den Montagmorgen. In Anbetracht der bedrückenden Gegenwart schwelgte ich in Nostalgie.
    Im Krankenhaus nahmen wir in einem riesigen, von gelben Neonröhren erleuchteten Wartesaal Platz. Wir waren von allerlei schmerzverzerrten Gesichtern umringt. Die Runde derer, die einen verhängnisvollen Sonntag erlebt hatten. Alle wirkten von Angst erfüllt. Ich schämte mich ein bisschen dafür, aber es beruhigte mich irgendwie, Leute zu sehen, denen es noch schlechter ging. Das ist ja der Sinn von Wartezimmern: die eigene Lage im Vergleich zu der der anderen taxieren. Man beschnüffelt sich gegenseitig, sendet prüfende Blicke aus. Ich kam mir nicht so vor wie der dringendste derdringenden Notfälle. Neben mir saß ein vor Schmerz gekrümmter junger Mann, der beängstigend vor sich hin stöhnte. Er murmelte unverständliches Zeug, vielleicht betete er. «Wollen Sie nicht lieber ihn zuerst drannehmen?», fragte ich, als ich aufgerufen wurde. Die Schwester zeigte sich ehrlich erstaunt, sicherlich war sie es gewohnt, dass jeder sich selbst der Nächste war.
    «Machen Sie sich keine Sorgen. Die Ärzte werden sich um ihn kümmern.»
    «…»
    «Raum zwei, bitte.»
    «Ah, wunderbar … vielen Dank.»
    Ich stand auf und musterte ein letztes Mal den jungen Mann. Sein Zustand schien auch Élise ganz aus der Fassung zu bringen. Als ich mich auf den Weg zu meiner Untersuchung machte, sagte sie jedoch:
    «Ich geh in der Zwischenzeit zu Décorama, diesem Inneneinrichtungsgeschäft da um die Ecke. Ich würde mich gern nach einer neuen Wohnzimmerlampe umschauen.»
    «Aha …»
    «Ruf mich an, wenn du fertig bist.»
    Nachdem sie erst so viel Mitgefühl gezeigt und mich hierher gebracht hatte, ließ sie mich plötzlich allein. Vielleicht wollte sie nicht dabei sein, wenn das fatale Verdikt gesprochen wurde. Nein, das klang nicht plausibel. Hätte sie das Schlimmste befürchtet, wäre sie nicht einkaufen gegangen. Aber ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, warum sie die Flucht ergriff. Es war letztlich auch nicht so wichtig,ob sie ihre Nervosität verbarg oder (wie das in festen Beziehungen manchmal vorkommt) schlicht eine Anwandlung von Gefühllosigkeit hatte. Ich glaube, sie wollte vor allem die Dramatik des Augenblicks herunterspielen, und deswegen ging sie mit der Situation wie mit einem harmlosen Spaziergang um, auf dessen Weg ein paar Geschäfte lagen. Im Grunde war das sicher die richtige Einstellung. Mir dagegen kam es so vor, als lastete die ganze Welt auf meinen Schultern. Ich schaffte es nicht, der Situation mit Würde zu begegnen. Es war absurd, jeder hat Rückenschmerzen, das war doch gar nicht der Rede wert. Ich unterzog mich genau der Art von ärztlicher Untersuchung, bei der meine Frau in der Zwischenzeit problemlos einkaufen gehen konnte.
    In Raum zwei musste ich noch ein wenig warten. Das Stadium der Klassifizierung war abgeschlossen, ich war in die richtige Abteilung vorgedrungen. Dass ich so konzentriert war auf die Vorgänge um mich herum, hatte einen merkwürdigen Effekt: Die Schmerzen waren wie weggeblasen. Der Doktor rief mich auf, ich solle ihm folgen. Als ich ihm so gegenübersaß, ging es mir plötzlich wieder gut. Er musste mich für einen eingebildeten Kranken halten, der wegen jeder Kleinigkeit zum Arzt rennt. Einen von der Sorte, die das staatliche Gesundheitswesen mit ihrer Zimperlichkeit belasten. Oder auch: für einen, der ein großes Theater macht. Édouard erklärte mir später, als ich ihm die Geschichte erzählte, dass es sich dabei um ein psychologisches Phänomen handele, das bei Arztbesuchen häufig auftritt. Die Krankheiten verpuffen, aus Angst, ans Tageslicht befördert zu werden.
    Der Doktor bereitete mir einen warmherzigen Empfang, als wäre ich an diesem Tag sein einziger Patient. Er liebte seinen Beruf, streifte seinen Kittel jeden Morgen mit ungebrochener Hingabe über, das war zu spüren. Ich stellte mir vor, dass er verheiratet war, und seine Frau freiberuflich in Teilzeit arbeitete. Im Sommer fuhren sie nach Sizilien zum Tiefseetauchen. Sie hatte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher