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Romeo und Jabulile

Romeo und Jabulile

Titel: Romeo und Jabulile
Autoren: Lutz van Dijk
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Schokolade – iChocolate

    Das blaue Papier ist verknittert. Ich falte es auseinander und streiche es vorsichtig mit einer Hand glatt. Wieder und wieder betrachte ich wie hypnotisiert die fünf mit schwarzem Marker geschriebenen Buchstaben:
    LUV U . R.
    Er wusste, dass ich manchmal verrückt nach Schokolade bin. Nach Schokolade und nach Fußball. Aber am meisten nach ihm. So sehr nach ihm.
    LUV U . R.
    Makhulu [1] legt mir ihre faltige warme Hand auf die Schulter: »Jabu, du musst etwas essen. Das hätte er nicht gewollt, dass du hungerst und immer schwächer wirs t …« Oma ist so alt, keiner weiß es genau. Sie selbst auch nicht. Vielleicht achtzig oder neunzig. Ihre Hände sind immer warm.
    LUV U . R.
    Das blaue Einwickelpapier ist aus glänzendem Stannio l – für Cadbury-Schokolade, die teure mit ganzen Nüssen. Er hat die große gekauft für über zwanzig Rand . Ein Vermögen! Woher er den Marker hatte, weiß ich nicht. Wahrscheinlich geborgt. Denn sonst schreibt ja nichts auf Stanniolpapier.
    LUV U . R.
    Er konnte die SMS-Sprache perfekt, obwohl er nie ein Handy hatte. Er sprach auch nur ein paar Worte Xhos a – und ich konnte kein Shona . Aber Englisch war okay für uns beide. An dem Abend, als er mir die Schokolade schenkte, rückte er ganz nahe an mich heran und flüsterte mir etwas ins Ohr, das ich erst gar nicht verstand.
    Es kitzelte an meinem Ohr, und ich musste lachen. »Was sagst du?«
    Aber er war nicht bereit, es laut zu sagen. Mit seiner kräftigen Hand auf meiner Wange zog er mich erneut zu sich. Ich spürte seinen heißen Atem und merkte erst jetzt, dass er etwas in meiner Sprache gelernt hatte, was er mir nun zum zweiten Mal ins Ohr hauchte: » Ndiyakuthanda, Jabulile!« Dann rückte er betont von mir weg und sah mich erwartungsvoll an. »Und?«
    » Ewe, j a …«, flüsterte ich unsicher, »das war ja schon ein ganzer Satz!«
    Er hatte etwas gesagt, was ich bis dahin nur in kitschigen Filmen im Fernsehen gehört hatte. Noch nie zuvor hatte jemand es zu mir gesagt. Die anderen blöden Jungs riefen zwar auch manchmal Sprüche wie: »Komm zu mir, Kleine!« Oder: »Willste ’n Kuss von mir?« Aber sie riefen es über die Straße, sodass jeder es hören konnte. Darum ging es ihnen zuerst.
    Er wollte, dass nur ich allein es hörte. Ndiyakuthand a – ich liebe dich. Das ist ganz schön schwierig zu sagen. In jeder Sprache, glaube ich. Jedenfalls, wenn man es ehrlich meint.
    Es ist, als würde ich seine Stimme hören, wenn ich die Buchstaben auf dem Stanniolpapier anschaue. Er war schon im Stimmbruch, obwohl er nur wenig älter war als ich. Gerade fünfzehn. Manchmal kippte sie um, und er hatte eine Kinderstimme, aber meist war sie tief und männlich. Gar nicht wie von einem Jungen, sondern wie von einem Mann. Ein bisschen heiser manchmal, dann räusperte er sich. Seine Stimme beruhigte mich wie sonst nichts auf der Welt.
    LUV U. In großen schwarzen Druckbuchstaben.
    Love you.
    Und das R. Sein Vorname: Romeo.
    Ich musste lachen, als ich ihn das erste Mal hörte: »Romeo und Julia!«
    »Schön wär’s«, gab er lachend zurück. »Ich glaube nicht, dass mein Vater je von Shakespeare gehört hat. Der war verrückt nach Autos, vor allem teure ausländische Schlitten. Und an der Spitze stand ein italienischer Rennwagen, den er mal in Harare bei einem älteren Bruder gesehen hatte: Alfa Romeo. Wenn ich ein Mädchen geworden wäre, würde ich wahrscheinlich Alfa heiße n …«
    »Und du?« Er schaut mich neugierig an. »Was bedeutet dein Nam e – Jabulile ?«
    »Den habe ich von Makhulu , die mich großgezogen hat. Meine Mutter starb bei meiner Geburt. Und natürlich waren alle traurig. Oma erzählt, dass ich immer versucht habe, alle froh zu machen. Schon mit ein paar Monaten war ich so was wie eine Alleinunterhalterin. Jabulile heißt: ›Die, die andere froh macht‹.«
    Romeo grinst. »Deine Oma hat völlig Recht! Du könntest locker im Zirkus auftrete n …«
    »Als Pausenclown, was? Sehr lustig!«, entgegne ich empört.
    Er widerspricht sofort: »Nein, als Sängerin oder Tänzerin oder Trapezkünstlerin mit einem superkurzen Kleid!«
    »Du spinnst wohl!«, falle ich ihm lachend ins Wort. »Ich werde als Ringerin die Männer umhauen oder mit Löwen kämpfen.«
    Er gibt auf: »Einverstanden!« Und fügt dann plötzlich ernst hinzu: »Mich hat noch nie jemand so froh gemacht wie du!«
    Meist besuchte ich ihn abends nach dem Fußballtraining in seiner geheimen Hütte. Niemand wusste von unserem
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